Nybbas Nächte
der von hier bis zur Hauptstraße führt. Ist dieser erst zugeschneit, werdet ihr bei Dunkelheit die Fahrbahn nicht mehr erkennen. Zu beiden Seiten befinden sich unpassierbare Lavawüsten. Geratet ihr mit dem Wagen in einen der Krater, ist ein platter Reifen oder ein Achsenbruch noch das Harmloseste.“
Joana wechselte einen raschen Blick mit Nicholas. Die Aussicht, nachts bei Schneesturm in einem fahruntauglichen Auto festzusitzen, behagte ihr noch weniger, als in der Bergfestung zu bleiben. So sagte Nicholas mit einem Schulterzucken zu.
Demjan strahlte, als hätte er das Wetter höchstpersönlich in Auftrag gegeben, um das Gespräch in die Länge zu ziehen. Er tippte auf einem Gerät herum, das Joana für eine Art Kommunikator hielt. Kurz darauf erschien Tomte und erhielt die Anweisung, zwei Zimmer für den Gast und seine Leibwächterin vorbereiten zu lassen. Der joviale Unterton, der das Wort ‚Leibwächterin‘ begleitete, ließ Demjans Wissen durchklingen, dass die getrennten Zimmer nicht in ihrem Sinne waren. Ganz besonders nicht in Nicholas’. Irrte sie sich, oder hörte sie ein Zähneknirschen?
„Was ist mit dir?“, flüsterte sie Nicholas zu. Er musste den Dämon in seinem Inneren mit Emotionen füttern, sie wusste, dass er nicht länger warten sollte.
„Ich finde schon jemanden.“
Demjan zog die Brauen zusammen. „Ich hoffe, du willst dich nicht an einem meiner Arbeiter vergehen, mein Freund. Du wirst ins nächste Dorf fliegen müssen. Der körperlose Zustand ist hierzulande sicher, du brauchst dir keine Sorgen machen. Es gibt keine Jäger auf Island.“
Joana verkniff sich rechtzeitig die Bemerkung, dass sie darüber Bescheid wussten. Die Vorstellung, Nicholas würde den Berg verlassen und sie nicht, ließ ein Frösteln ihre Wirbelsäule herabrieseln.
„Ihr habt nichts zu befürchten.“
In Demjans Lächeln spielte Impertinenz eine deutliche Rolle, als er zwischen Joana und Nicholas hin- und herblickte. Sichtlich genoss er die Tatsache, dass Nicholas ihm ungern vertraute. Leider wurde es für Nicholas höchste Zeit, sodass ein Aufschub Joana ernsthaft in Gefahr gebracht hätte. Seine Beherrschung stand auf wackligen Beinen, wenn er in diesem speziellen Sinne hungrig war. Sie wusste, wie stark der Dämon in ihm gerade ihre Emotionen begehrte und wie sehr ihre körperliche Nähe ihn herausforderte.
„Ich halte es für sicher“, sagte sie in bester Leibwächterinnen-Manier, ihre Befürchtungen unterdrückend.
Demjan erhob sich und streckte den Rücken. „Tomte wird euch zu euren Zimmern führen. Es würde mich freuen, euch in zwei Stunden zum Abendessen in der Halle begrüßen zu dürfen.“
Zimmer. So hatte Demjan es genannt. Nun, es hatte vier Wände, einen Fußboden und eine Decke. Das waren aber auch schon alle Gemeinsamkeiten mit ordinären Zimmern. Joana bezeichnete es eher als Suite undfragte sich, ob alle hier in ähnlichen Verhältnissen lebten. Das Mobiliar war kantig und vollständig verchromt, was dem Raum etwas Futuristisches verlieh. Bis auf eine weinrote Vase, in der eine einzelne weiße Rose dem Verwelken noch mit stolz erhobenem Kopf entgegensah, gab es keinen unnötigen Deko-Schnickschnack. An einer Wand hing ein Flachbildschirm von solchen Ausmaßen, dass er das Wort ‚unbezahlbar’ in den Raum reflektierte. Und das Bett! Das Bett war ein Traum. Ebenso breit wie lang machte es Joana unmissverständlich klar, wie müde sie war. Auf dem Boden davor breitete sich ein silberweißer Teppich aus, der sie augenblicklich zwang, ihre Schuhe und Strümpfe auszuziehen, damit ihre Zehen in dem hohen Flor versinken konnten. Herrlich.
Die Verbindungstür zu Nicholas’ Zimmer öffnete sich. Er streckte den Kopf hindurch und sah sich um.
„Ganz nett, oder?“
Mäßig beeindruckt kam er zu ihr herüber und ließ sich aufs Bett fallen. Sie kniete sich auf den Teppich und grub die Hände hinein.
„Wenn dieses Teil nicht so unglaublich weich, sauber und pudrig wäre, würde ich sagen, dass es ein gigantisches Eisbärfell sein muss.“
Mit einer Kopfbewegung deutete er nach oben. „Hast du die Fenster gesehen?“
Das hatte sie nicht. Als sie aufblickte, erkannte sie staunend runde Deckenfenster unterschiedlicher Größe. Durch eine hauchdünne kristallene Schneedecke sah der dunkle Abendhimmel auf sie hinab. Neugierig drehte sie an einem Schalter neben der Tür und wie erwartet öffnete sich eines der Fenster. Pulverschnee rieselte aufs Bett und auf Nicholas, der sich amüsiert
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