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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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war ein paar Monate zuvor das letzte Mal auf dem
     Dachboden gewesen, zusammen mit Haley, die nach ihren dort eingelagerten alten Abendkleidern geschaut hatte. Es war ein schmerzvoller,
     seelenreinigender Nachmittag gewesen, an dem Haley den Verlust von Tom endlich ein Stück weit akzeptiert hatte. Bis dahin
     hatte sie verbissen und voller Wut an ihm festgehalten. Wir hatten die Kleider nicht wieder aufgehängt, stellte ich fest.
     Sie lagen in voller Pracht auf dem alten Schaukelstuhl, dem Nähmaschinentisch, dem Schrankkoffer.
    »Was machen diese Kleider da draußen?« fragte Fred.
    »Ich denke, Haley will sie zur Altkleidersammlung geben.« Ich sammelte eins nach dem anderen ein und hängte sie in den Schrank
     zurück.
    »Mal sehen... den Baum zuerst.« Fred schleppte eine lange Kiste zur Treppe. »Die Lichter und der neue Schmuck.« Er reichte
     mir eine kleinere Kiste. »Und hier kommt der alte Schmuck.« Das war die wertvollste Kiste von allen. Er stellte sie vorsichtig
     neben die Stufen. »So, und wo ist jetzt die Krippe?« Wir mußten beide lachen.
    Binnen einer Stunde war der künstliche Baum montiert und im Salon aufgestellt. Als er noch neu war, waren die Metallstifte,
     die in den Plastikstamm kamen, farblich markiert gewesen. Jetzt mußten wir die einzelnen Äste hochhalten und überlegen, welcher
     wohin gehörte, was nicht allzu schwer war, da am Ende eine perfekte Pyramide herauskommen mußte.
    »Schön«, sagte Fred. »Nun die Lichter.«
    |156| »Ich erzähle jetzt von Ross Perry«, sagte ich. »Du kümmerst dich um die Lichter.«
    Fred nickte und schloß die erste Kette an. Sie funktionierte, was ich ermutigend fand. Ich begann damit, ihm von meiner Begegnung
     mit Ross in der Galerie zu erzählen und daß er ein Kunstkritiker bei der Zeitung gewesen sei und ein Freund von Mercy und
     Liliane. Ich erzählte von dem gemeinsamen Mittagessen mit Mary Alice und ihm und wie Ross beim Einsteigen in sein Auto noch
     mal gewunken hatte und daß ich ihn selbst ebenso wie das Green and White nicht besonders gemocht und mich daher unmöglich
     benommen hatte, geradezu vulgär. Das hatte jedenfalls Mary Alice behauptet, obwohl ich wirklich nicht fand, daß es so schlimm
     gewesen war. Und wie dann auf der Damentoilette Claires Zwillingsschwestern aufgetaucht waren und mir vielleicht die Botschaft
     hatten übermitteln wollen, daß es Claire gutging, obwohl ich mir da nicht so sicher war. Auf jeden Fall waren sie ebenso bildschön
     wie sie.
    Eine zweite und dritte Lichterkette kam an den Baum, während ich erzählte. Fred stellte nur gelegentlich eine Zwischenfrage.
    »Leben die Zwillinge hier?«
    »Liliane Bedsole erzählte mir, sie würden in New York leben und als Models arbeiten. Hübsch genug sind sie dafür.«
    »Sie waren also wegen Mercys Beerdigung hier?« Fred schloß eine vierte Lichterkette an, die jedoch nicht brannte. »Verdammt.«
    »Ich denke schon. Sie sind merkwürdig, Fred.« Ich reichte ihm eine heile Lichterkette.
    »Wieso?«
    Es war schwierig, die Zwillinge zu beschreiben, nicht ihr Äußeres, aber die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizierten.
     »Sie sind irgendwie nicht greifbar«, sagte ich schließlich.
    |157| »Nicht greifbar. Inwiefern?« Fred verschwand hinter dem Baum und steckte die hinteren Lichter an.
    »Als wären sie nur füreinander real.« Mir war klar, daß dies keine berauschende deskriptive Leistung war. »Ich wette jedenfalls,
     die beiden waren es, die Claire aus dem Krankenhaus geholt haben. Ich weiß nicht, warum sie es taten, aber ich bin mir sicher,
     daß sie es waren. Irgend jemand muß es ja gewesen sein. Claire selbst stand zu stark unter Beruhigungsmitteln, als daß sie
     allein hätte entwischen können.«
    »Aber warum?« Fred trat zurück und bewunderte den Baum, bevor er eine weitere Lichterkette herumwickelte. »Sag mir, wenn ich
     irgendwo ein Loch gelassen habe.«
    »Auf der linken Seite bei neun Uhr.«
    »Okay.« Er füllte die kahle Stelle.
    Ich reichte ihm die letzte Kette. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum jemand eine kranke Person aus der Klinik entführen
     könnte«, sagte ich.
    »Nun« – Fred kroch mit seiner Kette um den Baum   –, »dafür könnte es mehrere Gründe geben. Einer davon ist der, daß sich die Person in Gefahr befindet.«
    »Aber sie wurde doch bewacht.«
    »Ja, so gründlich, daß sie einfach hinausspaziert ist.«
    Zugegebenermaßen ein Punkt für ihn.
    »Ein anderer Grund könnte sein, daß der Entführer

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