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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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schimmernden Lachsforelle angenommen. Die Lachsforelle schrieb und schrieb, und endlich war die Formel fertig:

    Der Professor drehte sich um und lachte.
Das heißt nichts anderes
, dozierte er,
als dass ein Teil der Flüssigkeit deutlich schneller fließen muss als der Rest.
Die Zeit dehnte sich unendlich lange aus. Konrad Finger hatte die Reynolds-Funktion noch nie dermaßen klar durchschaut und endgültig verstanden. Man konnte die Reynolds-Funktion bei der Berechnung von Umsatzschwankungen verwenden. Gleichzeitig wusste er, dass er schon blau und grün angelaufen war aus Mangel an Atemluft. Das Pallauf-Syndrom, letztes Stadium, allerhöchste Eisenbahn. Er versuchte, sich aus dem Kajak zu stemmen. Er musste schnellstmöglich von dem verdammten Fahrrad wegkommen. Mit letzter Kraft hievte er sich aus dem Boot, das sofort wild hin und her schlingerte, sich vom Fahrrad losriss und ihn mit der Spitze voll in den Rücken traf. Finger spürte den Schmerz nicht, dafür war zu viel Loisachchampagner um ihn herum. Das Boot stieg hoch, er wollte sich daran festhalten, er bekam es nicht zu fassen. Schließlich war es außer Greifweite, es war verschwunden, es trieb vermutlich schaukelnd flussabwärts, und irgendwo saßen Kinder am Ufer und sangen:
♫ Treibt ein kleines Boot vorbei, / hockt gar keiner drin …
Und irgendwo saß auch sein amerikanischer Physikprofessor und beobachtete ihn, wie er in diesem Mörderwirbel gefangen war. Jetzt aber, ohne behinderndes Kajak, wurde Finger hochgezogen, er hatte sogar das Gefühl, hochgeworfen zu werden, hoch in die Luft, raus aus den Wassermassen. Der erste Atemzug war ausgesprochen schmerzhaft, weil er zur Luft auch noch eine Handvoll Wasser in die Lunge bekam.
     
    »Da haben Sie ja noch mal Glück gehabt!«
    Hoch auf spritzte die Gischt, er spürte einen scharfen Schmerz am Arm. Eine grobknochige Hand hatte ihn gepackt und hochgezogen, zwei Hände kamen auf seine Brust und zwei Arme umschlossenen ihn von hinten und zogen ihn ans Ufer. Einer der Wasserwachtler gab ihm eine leichte Ohrfeige.
    »Sind Sie in Ordnung?«, fragte er.
    »Reynolds, oh Reynolds«, murmelte Finger.
    »Menschenskinder!«, hörte Finger seinen Retter sagen. »Das ist doch schon das zweite oder dritte Mal, dass wir Sie rausziehen.«
    Die Wasserwachtler umhüllten ihn mit einer Polyesterdecke, gaben ihm heißen Tee, unterhielten sich miteinander über die schlechte Verfassung des SC Riessersee, seit der kanadische Trainer nicht mehr da war.
    »Wiewo«, stotterte Finger endlich heraus. »Wiewo – wo ist das Boot?«
    »Das haben wir einen Kilometer weiter unten treiben sehen. Das war Ihr Glück. Wir kennen Ihre Kiste, Herr Finger. So eine g’spassige Inschrift hat sonst niemand: Zarathustra Solutions. Wir haben uns sofort auf die Suche gemacht und Sie hier gefunden. Zuerst haben wir Sie gar nicht gesehen, Herr Finger, aber wir haben uns schon gedacht, dass es Sie da reingezogen hat.«
    Finger deutete in die Mitte des Flusses.
    »Ziehen Sie das Fahrrad heraus«, keuchte er. »Ich bin an einem verdammten Fahrrad hängengeblieben.«
    Die Wasserwachtler brachten Finger in die Notaufnahme des Klinikums. Er wurde untersucht, er wurde versorgt. Irgendwo saßen Kinder am Ufer und sangen Lieder.
♫ Treibt ein Fahrrad auch vorbei, / sitzt gar keiner drauf …
Beim Einschlafen erschien Konrad Finger noch einmal die Reynolds-Gleichung, die der Professor an die Tafel geschrieben hatte. Er würde sie modifizieren, er würde sie um den Faktor a(fx)ξ erweitern und sie würde als Finger-Funktion in die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften eingehen.

20 .
    Im Besprechungsraum des örtlichen Polizeireviers herrschte fröhliche Betriebsamkeit. Gelächter brandete auf, Fotos wurden herumgezeigt. Die meisten der Bilder, die zugeschickt, gemailt oder persönlich auf das Revier gebracht worden waren, zeigten die Wiese unterhalb der Schröttelkopf-Alm. Der imposante Herr Oberforstrat war da zu sehen, und vor allem, als besonders beliebtes Motiv, der kecke braungebrannte Wilderer. Wilderer wütend, Wilderer gelassen, Wilderer von der Seite, Wilderer von hinten. Ein Schnappschuss wurde besonders gelobt, da blickte der Spitzbube sogar keck in die Kamera und lächelte verschlagen, er schien kurz davor, den Hut vom Kopf zu nehmen und sein Publikum auf der Galerie zu grüßen.
    »Hat Nicoles Mann hier nicht etwas übertrieben?«, bemerkte Maria Schmalfuß.
    »Nein, überhaupt nicht«, sagte Ostler, »das passt ganz gut zu einem

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