Oberwasser
führte keine Straße weiter nach oben – außer die Wahnsinnige nahm den Bergweg.
»Vielleicht ist er uns nützlich!«, schrie die Wahnsinnige nach rechts, und die Frau auf dem Beifahrersitz schrie zurück.
»Was willst du mit ihm? So eine spontane Aktion können wir jetzt gar nicht brauchen!«
Der Motor heulte auf, Wanda musste noch lauter schreien.
»Wir lassen ihn laufen, Nadja, wir sind genug Leute. Er hat unser Gesicht nicht gesehen, wir können ihn einfach gehen lassen.«
»Wir könnten ihn aber auch zu Dombrowski bringen.«
»Ich habe Nein gesagt. Und jetzt ist Schluss mit dem Unsinn. Solche Alleingänge dürfen nicht mehr passieren, verdammt nochmal!«
Schnäuzelchen hatte richtig befürchtet. Die Wahnsinnige nahm den Bergweg. Nach dem Parkplatz des Hotels Riessersee ging es hinauf. Was heißt hinauf – die ersten Meter kam es Nicoles Mann vor, als würde er mit einer Schnur senkrecht nach oben gezogen. Der Wagen musste ein paar PS mehr haben als ein schlichter Dienst- BMW der bayrischen Polizei. Die Reifen des Chevrolet griffen gut, sie gewannen an Höhe, er wagte nicht, von der Ladefläche aus hinunterzuschauen. Er drehte sich auf den Bauch, und ließ so den Ritt auf den Katzenstein über sich ergehen.
»… du noch … da?« schrie die Frau da vorne nach hinten. »Halt … fest … Gleich … Ziel!«
Was hatten die vor? Er war unbewaffnet, er trug nichts bei sich, was darauf hingedeutet hätte, dass er Polizeibeamter war. Das war einerseits gut so, andererseits – Der Motorenlärm ließ etwas nach. Sie waren auf ein weniger steiles Wegstück gekommen, endlich hielt der Wagen. Der Motor erstarb, eine Handbremse wurde gezogen. Plötzlich Bergesstille, Bienengesumme und fernes Glockengeläute. Autotüren wurden aufgerissen und wieder zugeschlagen. Eilige Schritte auf Kies. Ein Knacken, das man hört, wenn ein Sturmgewehr entsichert wird. Dann wurde alles schwarz.
33 .
In der Lounge einer Event-Agentur, bestes Viertel, fünfzehnter Stock, mit Blick auf die Alpen. Event-Manager in Maßanzügen und stylischen Neil-Barrett-Hemden mit aufgemalten Fake-Krawatten sitzen um einen spiegelblanken Tisch. Es werden Canapés und Fingerfood gereicht. Einer fällt ein wenig aus dem Rahmen. Er trägt einen gezwirbelten Schnurrbart, hat jedoch ebenfalls ein aufgeschlagenes Notebook vor sich, auf das er angestrengt starrt. Ein Ober geht mit einer Vorspeisenplatte herum.
Ober Gamsfleischpflanzln auf Bananenblättern? Zweierlei Kaviar in Erdbeer-Sorbet?
Alle lehnen ab. Nur der Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart nimmt sich ein Gamsfleischpflanzl. Einer der Event-Manager greift vorsichtig zum Telefon.
Event-Manager Ich kann mich auch täuschen. Aber ich glaube, er sitzt hier bei uns.
Nach ein paar Sekunden erscheint draußen ein Hubschrauber, der sich dem großen Fenster bedrohlich nähert.
Stimme aus dem Lautsprecher Dies ist ein Polizeieinsatz. Geben Sie auf, Sie haben keine Chance mehr!
Die Event-Manager laufen kreischend weg. Der Mann mit dem Schnurrbart bleibt als einziger sitzen.
Wilderer Den Düwel ook, dat war knapp!
34 .
Oliver Krapf saß in einem überfüllten Zug, er war fast pleite, er hatte Hunger, er hatte sich seit seinem zehnten Geburtstag nicht mehr gewaschen – doch all dem schenkte er keine große Beachtung. Er war auf dem Heimweg. Er war Odysseus kurz vor Ithaka, ein verschärfter Odysseus allerdings, einer, der eventuelle Sirenen draußen auf den Wiesen und Feldern gar nicht gesehen hätte, der ihr klagendes κομμ κραπζ! (»Komm, Krapf!«) gar nicht gehört hätte, sondern stur heimwärts gefahren wäre, hin zu seinem Schreibtisch, ins Land der digitalen Herrlichkeit. freu_grins 2.0 -Hallelujanochmal! Straßburg flog vorbei. Die Münze mit der Post abzuschicken war ein cleverer Schachzug gewesen. Langsam wurde er lockerer. Er war jetzt ein schwerreicher Junge. Mit dem Geld würde er eine Computerfirma gründen und die geilsten Informatiker der Welt engagieren, zum Beispiel Bhash Bhatkhande aus Indien! Oder den Superhacker G_H aus Kalifornien, ja, den auf jeden Fall. Er würde für sie alle eine Villa mit Garten mieten. Zum Frühstück würde er mit der neuesten Ausgabe der firmeneigenen Zeitschrift
Krapf’s
erscheinen, er würde das Hochglanzmagazin locker auf den Tisch werfen und die neuesten Projekte in Gang bringen. Hi, folks! Sucht mir bis zum Mittagessen einen Grund für Schicht 8 des ISO / OSI -Modells, entwickelt am Nachmittag eine elegante
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