Oblomow
und fuhr zu Oljga hin.
Als er abends nach Hause zurückkehrte, fand er auf seinem Tisch einen Brief von dem Gut, von seinem Nachbar, dem er die Vollmacht übersandt hatte. Er stürzte zur Lampe hin, las, und ihm sank der Mut.
»Ich möchte Sie sehr darum bitten, die Vollmacht jemand anderem zu übergeben« (schrieb der Nachbar), »denn ich habe so viel zu tun, daß ich Ihr Gut, offen gestanden, nicht, wie es sich gehört, beaufsichtigen kann. Es wäre besser, wenn Sie selbst herkämen, und am allerbesten, wenn Sie ganz hierher übersiedeln würden. Ihr Gut ist schön, aber sehr vernachlässigt. Vor allem müßte man die Abgaben und die Arbeiten genauer verteilen; das kann nicht in Abwesenheit des Besitzers geschehen; die Bauern sind ohne jede Zucht, sie hören nicht auf den neuen Dorfschulzen, und der alte ist ein Betrüger, man muß auf ihn ein Augenmerk haben. Die Einkünfte sind nicht zu berechnen. Bei der jetzt herrschenden Unordnung werden Sie wohl kaum über dreitausend bekommen, und auch das nur, wenn Sie selbst herkommen. Ich berechne dabei nur den Erlös des Getreides, denn von den Abgaben ist wenig zu erwarten; man muß die Bauern unter ein strenges Regiment bringen und die Zahlungsrückstände einziehen – dazu werden etwa drei Monate erforderlich sein. Das Korn ist gut geraten und wird zu guten Preisen verkauft, so daß Sie im März oder April Geld haben werden, wenn Sie den Verkauf selbst beaufsichtigen. Jetzt gibt es aber keine Kopeke an barem Gelde. Was die Straße über Werchljowo und die Brücke betrifft, so habe ich mich nunmehr entschlossen, da ich von Ihnen lange Zeit keine Antwort bekam, mit Odonzew und Bjelowodow zusammen die Straße von mir aus über Neljky anzulegen, so daß Oblomowka ganz seitwärts liegenbleibt. Zum Schluß wiederhole ich die Bitte, Sie möchten recht bald herkommen; man kann in drei Monaten in Erfahrung bringen, was vom künftigen Jahr zu erhoffen ist. Außerdem finden jetzt die Wahlen statt; würden Sie sich nicht zum Kreisrichter wählen lassen? Beeilen Sie sich. Ihr Haus ist sehr schlecht« (stand in der Niederschrift). »Ich habe der Viehmagd, dem alten Kutscher und den zwei alten Mägden befohlen, von dort in ein Bauernhaus zu übersiedeln; es wäre gefährlich, länger darin zu bleiben. «
Dem Brief war eine Notiz beigelegt, wieviel Tschetwert Getreide geschnitten, gedroschen und in die Scheunen geschüttet wurden, wieviel davon zum Verkauf bestimmt wurden und andere ähnliche wirtschaftliche Details.
Kein Heller an barem Gelde, ich soll für drei Monate selbst kommen, die Angelegenheiten der Bauern ordnen, meine Einkünfte berechnen und ein Amt versehen; das alles umringte Oblomow, als wären es Gespenster. Er schien plötzlich in der Nacht in einen Wald hineingeraten zu sein und in jedem Busch und Baum einen Räuber, einen Geist oder ein wildes Tier zu sehen.
»Aber das ist ja eine Schande; ich werde mich davon nicht so unterkriegen lassen!« sagte er und versuchte mit diesen Gespenstern vertraut zu werden, wie ein Feigling mit geschlossenen Lidern sich bestrebt, die Gespenster anzuschauen und dabei nur Kälte im Herzen und Schwäche in den Händen und Füßen fühlt. Worauf hatte Oblomow denn gehofft? Er hatte geglaubt, es würde im Brief genau stehen, wieviel Einkünfte er zu erwarten hatte, und natürlich möglichst viel, zum Beispiel sechs-, siebentausend; außerdem sollte drin stehen, daß das Haus8 noch gut ist, so daß man im Notfall darin wohnen kann, bis das neue fertig wird, und zum Schluß, daß der Nachbar ihm drei-, viertausend Rubel schickt – er erwartete mit einem Wort, daß er im Briefe dasselbe Lachen, dasselbe schäumende Leben und die Liebe lesen würde, die er in Oljgas Briefchen fand. Er schwebte nicht mehr über dem Fußboden durch das Zimmer, scherzte nicht mit Anissja, gab sich nicht mehr den Träumen von Glück hin; er muß sie jetzt für drei Monate verschieben; oder noch länger! Er würde in drei Monaten erst die Gutsangelegenheiten erledigen und mit seiner Besitzung vertraut werden, und die Hochzeit ... »An die Hochzeit ist vor einem Jahr gar nicht zu denken«, sagte er ängstlich, »ja, in einem Jahr, nicht früher!« Er mußte noch seinen Plan zu Ende schreiben, mit dem Architekten alles besprechen, dann ... dann ... Er seufzte. Das Geld leihen! fiel ihm ein; doch er stieß diesen Gedanken von sich. »Das ist unmöglich! Und wenn ich es nicht zur rechten Zeit zurückgeben kann? Wenn meine Angelegenheiten eine schlechte
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