Oblomow
gegenüber auf die Sofas, ziehen die Füße hinauf, er raucht ...«
»Nun, und du?«
»Ich ... rauche auch und höre zu, wie die Kanarienvögel rollen. Dann bringt Marfa den Samowar.«
»Tarantjew, Iwan Gerassimowitsch!« sagte Stolz achselzuckend. »Nun zieh dich schnell an«, mahnte er zur Eile. »Und wenn Tarantjew kommt, sag ihm«, fügte er, sich an Sachar wendend, hinzu, »daß wir auswärts zu Mittag essen und daß Ilja Iljitsch den ganzen Sommer auswärts speisen wird, daß er dann im Herbst viel zu tun haben wird und daß er ihn wohl kaum empfangen können wird ...«
»Ich werde es sagen, ich vergesse es nicht, ich werde es schon sagen«, antwortete Sachar, »und was befehlen Sie mit dem Mittagessen anzufangen?«
»Iß es mit irgend jemand auf und laß dir's gut schmecken.«
»Zu Befehl, gnädiger Herr.«
Nach etwa zehn Minuten kam Stolz angekleidet, rasiert und gekämmt herein und fand Oblomow melancholisch auf dem Bett sitzend und sich langsam die Hemdbrust zuknöpfend vor, wobei er mit dem Knopf nicht ins Knopfloch hineinfinden konnte. Vor ihm kniete auf einem Knie Sachar mit dem ungeputzten Schuh wie mit einer Platte und wartete darauf, daß der Herr fertig würde, um ihn anzuziehen.
»Du hast noch keine Schuhe an!« sagte Stolz erstaunt. »Nun, Ilja, geschwind, geschwind!«
»Wohin denn? Wozu?« sagte Oblomow voll Bangigkeit, »was habe ich dort zu suchen? Ich bin zurückgeblieben, ich habe keine Lust ...«
»Geschwind, geschwind!« trieb Stolz zur Eile an.
Viertes Kapitel
Obwohl es nicht mehr früh war, hatten sie noch Zeit, in Geschäften irgendwohin zu fahren, dann nahm Stolz einen Goldgrubenbesitzer zum Essen mit, dann fuhren sie zu ihm aufs Land Tee trinken und trafen dort eine große Gesellschaft an, so daß Oblomow aus seiner vollkommenen Einsamkeit plötzlich in eine Menschenmenge versetzt wurde ... Sie kehrten spät in der Nacht nach Hause zurück. Das wiederholte sich auch am zweiten und dritten Tage, und eine ganze Woche flog unmerklich vorüber. Oblomow protestierte, klagte, stritt, wurde aber mit hingerissen und begleitete seinen Freund überallhin.
Eines Tages, als er von irgendwoher spät zurückkehrte, lehnte er sich mit besonderer Energie gegen diesen Trubel auf.
»Ganze Tage lang«, brummte Oblomow, sich in seinen Schlafrock einwickelnd, »zieht man die Schuhe nicht aus; die Füße brennen mir nur so! Euer Petersburger Leben gefällt mir nicht!« fuhr er fort, sich aufs Sofa hinlegend.
»Was für eines gefällt dir denn?« fragte Stolz.
»Ein anderes als das hier.«
»Was mißfällt dir denn hier so sehr?«
»Alles, das ewige Wettlaufen, das Spiel der häßlichen Leidenschaften, besonders dieser hier, das Einanderimwegestehen, der Klatsch und das Verleumden, die Nasenstüber, die man sich gegenseitig austeilt, dieses Mustern vom Kopf bis zu den Füßen; wenn man zuhört, worüber gesprochen wird, schwindelt es einem und man wird ganz wirr. Man glaubt so gescheite Menschen mit einer solchen Würde im Gesicht zu sehen, man hört aber nur das eine: ›Diesem hat man das gegeben, jener hat die Pacht bekommen.‹ – ›Aber ich bitte, wofür denn?‹ schreit jemand. ›Dieser hat gestern im Klub alles verspielt; jener bekommt dreihunderttausend!‹ Nichts als Langeweile, Langeweile und Langeweile! ... Wo bleibt denn da der Mensch! Wo ist seine Ganzheit? Wohin ist er verschwunden, auf welche Nichtigkeit hat er seine Seele verbraucht?«
»Irgend etwas muß doch die Welt und die Gesellschaft beschäftigen«, sagte Stolz, »ein jeder hat seine eigenen Interessen. Das ist das Leben ...«
»Die Welt, die Gesellschaft! Du schickst mich wohl absichtlich in diese Welt und diese Gesellschaft, Andrej, um mir alle Lust hinzukommen zu nehmen. Das Leben, dieses Leben ist schön! Was hat man dort zu suchen? Nahrung für Geist und Herz? Schau einmal hin, wo der Mittelpunkt ist, um den das alles sich dreht; es gibt keinen, es gibt nichts Tiefes, das einen packen könnte. Das alles sind tote, schlafende Men schen; diese Mitglieder der Welt und Gesellschaft sind noch schlimmer als ich! Was leitet sie durchs Leben? Sie bleiben nicht liegen und rennen den ganzen Tag wie Fliegen hin und her, und was kommt dabei heraus? Man tritt in den Salon und bewundert, wie symmetrisch die Gäste verteilt sind, wie ruhig und tiefsinnig sie – bei den Karten sitzen. Man muß sagen, das ist eine würdige Lebensaufgabe! Ein ausgezeichnetes Vorbild für einen Geist, der nach Arbeit sucht! Sind denn das nicht
Weitere Kostenlose Bücher