Obsession
und wieder eintrudelten, eine Hauruckaktion
einer Werbeagentur, die in letzter Minute beschlossen hatte, den Fotografen auszutauschen, und ihren Klienten gleich im neuen
Jahr etwas vorweisen musste. Sie klangen erleichtert, als Ben den Auftrag annahm.
Beinahe so erleichtert, wie er es war.
Er schickte Jacob ein großes Paket mit Weihnachtsgeschenken, war sich aber unsicher, ob er verstehen würde, von wem es kam.
Oder ob Cole ihm die Geschenke überhaupt geben würde. Bevor er abreiste, sprach er mit Ann Usherwood darüber, Ermittlungen
über Sandra Coles Vergangenheit einzuholen. Die Anwältin war skeptisch gewesen. Sie hatte darauf hingewiesen, dass es kostspielig
wäre und ihnen wahrscheinlich nichts offenbaren würde, was sie nicht bereits wussten. «Wenn es etwas Belastendes gegeben hätte,
wäre es den Behörden bekannt gewesen», hatte sie gesagt. Doch Ben bestand darauf.
Er musste wissen, was Quilley fast umgebracht hatte.
Den Flug trat er an, ohne noch etwas von ihr gehört zu haben. Im letzten Moment sträubte sich alles in ihm gegen die Reise,
sodass er den Job beinahe abgesagt hätte. Plötzlich war er davon überzeugt, dass etwas Katastrophales passieren würde, wenn
er nicht vor Ort war, um es zu verhindern. Nur die Tatsache, dass Usherwood sich über Weihnachten |306| sowieso nicht bei ihm melden würde, und die Einsicht, dass sein Ruf als Fotograf ansonsten völlig ruiniert gewesen wäre, trieben
ihn zum Flughafen.
Als er aus der Maschine stieg und die strahlende Sonne auf der Haut spürte, war er froh, dass er es getan hatte. Er war so
weit weg von allem, was er mit Weihnachten verband oder ihn schmerzhaft an Sarah und Jacob erinnern konnte, dass die Tage,
vor denen er Angst gehabt hatte, beinahe unbemerkt verstrichen. Selbst der erste Weihnachtstag ging relativ schmerzlos vorüber.
Nach der Arbeit am Morgen verbrachten sie den Rest des Tages damit, sich langsam an der Strandbar zu betrinken. Zum Abend
hatte Ben sogar vergessen, welche Jahreszeit es war.
Silvester konnte er allerdings nicht entfliehen. Da war er wieder zurück in London. Er war zu einigen Partys eingeladen worden,
zu mehr als sonst, hatte aber, obwohl er den Grund dafür kannte und dankbar war, keine Lust, zu einer zu gehen. Er beschloss,
die Tür abzuschließen, die Uhren umzudrehen und dann Videos anzuschauen und zu trinken, bis der Januar unumstößlich begonnen
hatte.
Doch dann überfielen ihn die Erinnerungen an frühere Jahre. Nur vier Silvester hatte er mit Sarah verbracht, was ihm jetzt
unglaublich wenig vorkam. Die beste Silvesternacht war ihre zweite gewesen. Sie hatten Jacob zu Sarahs Eltern gebracht und
waren auf eine Party in Knightsbridge gegangen. Das Haus war grotesk feudal gewesen, sie hatten aber kaum Leute gekannt und
waren kurz nach Mitternacht verschwunden. Leicht angetrunken waren sie nach Hause zurückgekehrt, hatten sich kichernd ausgezogen
und auf dem Wohnzimmerboden geliebt.
Im letzten Jahr war Silvester weniger denkwürdig gewesen. Jacob hatte eine Erkältung bekommen, und sie waren |307| zu Hause geblieben. Doch in der Rückschau, wissend, dass es der letzte Silvesterabend war, den sie zusammen verbracht hatten,
der letzte Jahreswechsel, den Sarah erlebt hatte, war es sogar noch bedeutungsvoller. Es schien viel näher und gleichzeitig
wesentlich weiter weg zu sein als nur zwölf Monate.
Er stellte die Wodkaflasche in Reichweite auf den Boden und schaute sich ein stumpfsinniges Video nach dem anderen an.
Das Klingeln des Telefons holte ihn aus dem Halbschlaf. Er erschrak und kippte das Wodkaglas um, das wackelig auf seiner Brust
gestanden hatte. Als er aufstand, drehte sich alles um ihn. Die Szenen auf dem Fernsehschirm wollten kein zusammenhängendes
Bild ergeben. Das Telefon klingelte weiter. Er wünschte, er hätte den Stecker herausgezogen. Er hatte keine Lust, von irgendjemandem
Neujahrsgrüße zu hören.
An ein frohes neues Jahr glaubte er sowieso nicht.
Verärgert über die Belästigung, nahm er den Hörer ab. «Ja?», sagte er absichtlich grob.
Am anderen Ende hörte er Partylärm: Musik, fröhliches Gejohle, Feuerwerk. «Ben? Bist du das?»
Auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, erkannte er die Stimme durch den Wodkanebel. «Dad?»
«Kannst du mich hören?»
«Ja! Wo bist du?»
«Wir sind bei Freunden.»
Ben spürte, dass er enttäuscht war, weil sich sein Vater nicht in der Nähe befand. Im gleichen Moment wusste er, dass es
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