Obsession
Cole halb zur Tür
getragen, halb gezerrt.
«NEIN! NEIN!» Er ließ Ben nicht aus den Augen, als |363| sie ihn in den Gang schafften. «ES IST MEIN JUNGE! ES IST MEIN JUNGE!»
Die Tür fiel hinter ihnen zu.
Im Saal kehrte wieder Stille ein. Die Psychologin hielt ihr gebrochenes Handgelenk und weinte leise. Die anderen rappelten
sich auf und halfen denen, die noch mit ihren Verletzungen zu tun hatten. Einer der Wachmänner lag in der stabilen Seitenlage
auf dem Boden und wurde von Rogers versorgt. Die Polizistin, die selbst im Gesicht blutete, wiegte Coles Frau in den Armen.
Sandra schüttelte langsam den Kopf, über ihre Wangen liefen Tränen. Sie sah Ben mit Augen an, die fast zugeschwollen waren.
«O Gott, was habe ich getan?», stöhnte sie.
Er hatte keine Antwort.
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|364| Kapitel 20
Als Ben damit fertig war, die Blumen in der Vase zu arrangieren, richtete er sich wieder auf. Der heitere Farbfleck wirkte
fehl am Platz zwischen all dem toten Rispengras, von dem das Grab bedeckt wurde. Der alte Strauß war welk und durchgeweicht.
Er wickelte ihn in das Papier der frischen Blumen und legte ihn auf den Boden, um ihn später mitzunehmen. Von den nassen Stängeln
waren seine Hände eiskalt geworden. Er schlüpfte wieder in die Handschuhe und zog die Schultern hoch. Es war zwar nicht windig,
aber die Kälte drang durch seine dicke Jacke und die Sohlen seiner Stiefel.
Er hatte das Bedürfnis verspürt, Sarahs Grab zu besuchen. Nein, das stimmte nicht ganz – er hatte sich zu einem Besuch verpflichtet
gefühlt. Doch nun, da er die Blumen ausgetauscht hatte, wusste er nicht mehr weiter. Neben seinem Strauß stand ein anderer,
noch nicht verwelkter, daher wusste er, dass ihre Eltern kürzlich hier gewesen waren. Er fragte sich, ob sie sich ihrer Tochter
in irgendeiner Weise näher fühlten, wenn sie auf dem Boden standen, in dem sie begraben war. Er wünschte, bei ihm wäre es
so. Er wollte mit ihr sprechen können, ihr sagen, was geschehen war, aber die Vorstellung, vor dem Grab einen Monolog zu führen,
selbst einen stummen, erschien ihm theatralisch und falsch. Also stand er nur da, trat von einem Fuß auf den anderen, ohne |365| zu wissen, warum er blieb, aber auch unfähig, sich zum Gehen zu überwinden.
Seitdem Cole vor drei Tagen Amok gelaufen war, wurde er diese Beklemmung nicht mehr los. Er konnte sie sich nicht erklären.
Eigentlich hätte er sich bestätigt fühlen sollen, denn Cole hätte keinen deutlicheren Weg wählen können, um zu beweisen, dass
Ben recht hatte. Stattdessen wollte sich das Gefühl, dass das Geschehene sein Fehler war, dass er irgendwie dafür verantwortlich
war, nicht abschütteln lassen. Es wurde noch durch die Vermutung bestärkt, dass auch die anderen Beteiligten ihm die Schuld
gaben. Nachdem Sandra Cole zu einem Krankenwagen gebracht worden war, hatte er mit der Polizistin gesprochen. Sie hatte feuchte
Papierhandtücher auf ihre blutende Nase gepresst und darauf gewartet, selbst versorgt zu werden, und da Ben unverletzt im
Raum stand, hatte er sich genötigt gefühlt, etwas zu sagen.
«Die Verstärkung war ziemlich schnell hier.» Sie schaute ihn über das feuchte graue Papier an, ohne etwas zu erwidern. Das
Blut hatte es dunkel gefärbt, als wäre es ein Lackmustest für Brutalität. «Ich meine die Beamten, die zu Hilfe gekommen sind»,
sagte er, verunsichert durch ihr Schweigen. «Es hat nicht lange gedauert, bis sie reagiert haben.»
Sie nahm das Papiertuch von ihrer Nase und betrachtete es. «Sie waren in Bereitschaft. Die Gemeindeverwaltung bittet darum,
wenn sie glauben, dass jemand aggressiv werden kann.»
Ben war überrascht gewesen. Er hatte gedacht, er sei der Einzige, der wusste, wozu Cole fähig war. «Sie dachten also, er könnte
gewalttätig werden?»
Sie hatte das Papiertuch wieder an die Nase gehalten. Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, war schwer zu deuten.
|366| «Der Grund, warum wir um die Bereitschaft gebeten wurden, waren Sie.»
Cole war angeklagt und in Untersuchungshaft genommen worden, und da Sandra weder dazu in der Lage noch willens war, sich um
seinen Sohn zu kümmern, hatte man Jacob einer Pflegefamilie anvertraut. Ben war mitgeteilt worden, dass sie in der Nähe seiner
Schule wohnte, sodass er ohne Probleme am Unterricht teilnehmen konnte, aber mehr hatte man ihm nicht sagen wollen. Sein Angebot,
ihn zu sich zu nehmen, war schroff abgelehnt worden. Der Sozialarbeiter –
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