Obsession
Doch nicht der körperliche Schmerz hielt ihn von einer Antwort
ab. Was gerade geschehen war, war so katastrophal, dass er es kaum glauben konnte. Ihm war, als wäre er von einer Klinge durchbohrt
worden: Wohl wissend um den Ernst der Lage, war er dennoch zu betäubt durch den Schock, um das Ausmaß des Schadens zu erfassen.
An die Konsequenzen wollte er gar nicht denken.
Er startete den Wagen. «Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, einen guten Anwalt zu finden.»
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|124| Kapitel 8
Die Sonne war fast hinter den Dächern verschwunden. Der kleine Garten war mit schattigen Flecken gesprenkelt. Kondensstreifen
von Flugzeugen überkreuzten sich auf dem von der Sonne gefärbten Abendhimmel und lösten sich langsam in bauschige Wolken auf.
Ben blies ihnen seinen eigenen Beitrag entgegen und drückte dann die Zigarette an der Sohle seiner Sandale aus. Er ließ den
Stummel in seine leere Bierflasche fallen und lehnte sich wieder gegen die Gartenmauer. Die Steine waren noch von der Sonne
aufgeheizt, aber sonst hatte die raue Oberfläche nichts Angenehmes. Ganz in der Nähe standen großartige Gartenstühle aus Holz,
und er hatte eigentlich keinen Grund, auf dem harten Boden zu sitzen. Es war jedoch nicht so unbequem, dass sich die Mühe
gelohnt hätte, aufzustehen.
Das Quietschen der Schaukel bildete einen metronomischen Kontrapunkt zu dem lieblicheren, aber ungleichmäßigen Vogelgezwitscher
aus den Bäumen. Immer wenn sie langsamer wurde, streckte Ben seinen Fuß aus und setzte sie wieder in Bewegung. Der leere Sitz
schaukelte träge hin und her. Jacob konnte stundenlang darauf sitzen, ohne dass ihm langweilig wurde, und nur den unter seinen
Füßen vorbeischwirrenden Rasen betrachten. Ben hatte ihn dabei mit einem hochempfindlichen Film fotografiert, um die Bewegung |125| ohne Unschärfe einzufangen. Auch jetzt lag eine Kamera neben ihm. Er hatte sie einmal auf die leere Schaukel gerichtet, sie
aber wieder weggelegt, ohne auf den Auslöser zu drücken. Die Aussage des Bildes wäre zu plakativ gewesen.
Ein weiteres Flugzeug kreuzte den Himmel, man konnte jedoch nur den weißen Kondensstreifen sehen, den es hinter sich herzog.
Ben nahm die Kamera und machte ein paar Aufnahmen von den geometrischen Linien über ihm. Er wusste, dass es die falsche Kamera
und der falsche Film dafür waren und dass er sich nicht in der richtigen Stimmung befand, um etwas Vernünftiges hervorzubringen,
aber genauso wie es keinen Grund gab, aufzustehen und sich auf einen Stuhl zu setzen, gab es keinen Grund, warum er nicht
einen Film verschwenden sollte, wenn er wollte. Nichts schien mehr einen Unterschied zu machen.
Erstaunlich, wie schnell alles den Bach hinuntergehen konnte.
Objektiv gesehen, war der unglückselige Besuch auf dem Schrottplatz erst drei Monate her, seitdem war jedoch so viel geschehen,
dass es auf seiner subjektiven Zeitskala wesentlich länger erschien. Als er am Tag nach der Begegnung mit Cole eine Anwältin
aufgesucht hatte, war ihm immer noch nicht klar gewesen, was ihm bevorstand. Ann Usherwood war Ende vierzig, groß und hager,
hatte ergrautes Haar und trug ein strenges Kostüm. Ihr Büro war elegant, aber nüchtern eingerichtet und so funktional, dass
es beinahe spartanisch wirkte. Mit schonungsloser Offenheit hatte sie ihm gesagt, dass er sich in einer juristisch heiklen
Position befand. «Stiefeltern haben kein automatisches Recht an den Kindern ihrer Ehepartner. Sie hätten gleich nach dem Tod
Ihrer Frau beim Amtsgericht einen Antrag auf Betreuungsrecht stellen sollen, damit Jacob weiterhin bei Ihnen wohnen kann.»
|126| «Wird Cole Jacob nicht sowieso zurückbekommen?», fragte er.
«So einfach ist das nicht. Obwohl John Cole – laut Ihrer Aussage – zweifelsfrei der leibliche Vater ist, steht das Wohl des
Kindes an erster Stelle. Niemand wird Jacob einfach seinem Zuhause entreißen und einem völlig fremden Menschen übergeben,
ob er nun der leibliche Vater ist oder nicht. Auch Mr. Cole wird einen Antrag auf Betreuungsrecht stellen müssen, es sei denn, Sie stimmen freiwillig zu, dass Jacob zu ihm zurückkehrt.
Die Tatsache, dass Jacob, äh ...»
«Gestohlen wurde», sagte Ben brutal.
«Ich wollte sagen: ungesetzlich von Ihrer Frau an sich genommen wurde; aber ganz gleich, wie man es ausdrückt, ein Kind ist
kein Eigentum, das man einfach an den ursprünglichen Besitzer zurückgeben kann. Sich des Kindes zu bemächtigen war
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