Occupy Economics
das Geld ist. Der Tausch ist weitgehend anonym. Natürlich verkauft der Bäcker seine Brötchen auch an gute Freunde und Bekannte und gibt sich dabei großzügig, indem er ein süßes Teilchen dazugibt, oder der Metzger ein Stück Wurst. Aber im Grunde gilt der Preis, das Tauschverhältnis der Ware, stets für alle. Die gerechte Entlohnung des Kaufmanns ist Bestandteil der Arbeitsteilung, weil sie Existenzgrundlage für die dahinterstehenden privaten Einheiten ist, seine Familie, seinen Betrieb. Für die ursprüngliche Arbeitsteilung im Kleinen, innerhalb der Familie, innerhalb einer Großfamilie brauchte man keinen Markt. Erst als man den funktionalen Vorteil der Arbeitsteilung brauchte, um im viel größeren Kreis, auch mit Nachbarn und mit Fremden – also öffentlich – durch die Produktion größerer Mengen die Vorteile der Arbeitsteilung zu nutzen, erst da brauchte man den Markt, also den markierten Punkt und Zeitpunkt, also den öffentlichen Treffpunkt. Und natürlich das Geld. Dann erst entwickelte die Obrigkeit das Marktrecht und Marktordnungen. Vorher war das überflüssig, als es zwar Arbeitsteilung gab, aber nur intern im Zusammenwirken, ohne Verrechnung, ohne Tausch.
Diese Betrachtung wird allzu häufig vergessen: Arbeitsteilung funktioniert auch ohne Markt, gearbeitet, produziert, Wohlstand geschaffen wird auch ohne Markt. Wir befinden uns damit schon in der Kritik am Maßstab Bruttosozialprodukt (BIP), am üblichen geldbezogenen Denken bei der Berechnung des Wohlstandes.
In unserer sogenannten zivilisierten Welt bedeutet Armut, kein Geld zu haben und kein Eigentum, was üblicherweise korreliert. Arm ist, wer irgendein Geldeinkommen pro Tag oder pro Jahr unterschreitet. Diese Betrachtungsweise übersieht, dass ich das Tauschmittel Geld nur brauche, wenn die Arbeitsteilung über Märkte geht. Wenn sie nicht über Märkte geht, wie auch heute noch bei manchen Naturvölkern in Afrika oder Südamerika, dann können diese Menschen trotzdem reich und wohlhabend sein – sogar auch nach unseren Maßstäben –, ohne einen einzigen Cent zu verdienen. Es gibt noch immer Dutzende von Naturvölkern am Amazonas oder am Orinoko, die sich innerhalb ihrer Familien, ihres Stammes beziehungsweise ihres Dorfes arbeitsteilig ernähren, indem sie fischen, sammeln, jagen und auch landwirtschaftlich tätig sind, also systematisch anbauen, aber eben quasi kommunistisch, alle für alle. Sie leben ohne Geld und ohne Märkte. Sie teilen sich gemeinsam die Ergebnisse, sind so alle bestens versorgt, leben glücklich, ohne zu hungern oder zu darben. Natürlich haben sie nicht den Komfort oder die medizinische Versorgung, wie wir sie haben, aber davon ist das Glück einer Gesellschaft wohl nicht abhängig. Sie haben kein Geld, sind aber nicht arm.
Angestoßen durch den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, der damit dann den Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz beauftragt hat, gibt es eine Initiative mit dem Ziel, einen neuen Maßstab zu entwickeln, um Wohlstand und Fortschritt anders zu messen. In Deutschland sind gleichgerichtete Versuche bekannt vom Bonner »Denkwerk Zukunft« der Gesellschaftswissenschaftler Meinhard Miegel und Stephanie Wahl. Auch das asiatische Königreich Bhutan gilt als Vorbild, das einen Glücksindex errechnen lässt. »Alternative Berichtssysteme stehen in den Startlöchern«, schreibt der Essener Ökonom Christoph Schmidt 13 , und erläutert den »Nationalen Wohlfahrtsindex«, im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellt, beschreibt den »Fortschrittsindex« des »Zentrums für gesellschaftlichen Fortschritt« in Frankfurt und das »Wohlstandsquintett« des Bonner »Denkwerks Zukunft« und anderer. Aber keiner der bisherigen Versuche, sich vom BIP als Maßstab für Wohlstand und Wirtschaftswachstum zu lösen, sind bisher bis in die offiziellen Statistiken vorgedrungen. Wir haben nach wie vor keinen Maßstab für Wirtschaftsleistungen oder Wirtschaftswachstum, denen nicht ausschließlich Geldbewegungen als Grundlage dienen. Wir bewerten das Sozialprodukt von Naturvölkern mit Null und bezeichnen sie deshalb als arm (»weniger als ein Dollar pro Tag«), was völlig unsinnig, ja irrig ist.
Wenn man bedenkt, dass alle Einkommens- oder Armutsstatistiken dieser Welt diesem Irrtum unterliegen, stimmt das bedenklich, weil sie politische Fehleinschätzungen zur Folge haben.
Der Irrtum lautet anders formuliert: Als Sozialprodukt erkannt wird nur, was über Märkte ausgetauscht
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