Occupy Economics
wird. Alle anderen Leistungen werden nicht erfasst, zählen nicht. Dasselbe verhängnisvolle Phänomen gibt es jedoch auch bei uns. Eine Großmutter kümmert sich zum Beispiel um die Enkel, sie versorgt sie und liest ihnen jeden Tag vor. Wenn diese Großmutter durch einen bezahlten Kindergarten ersetzt wird, dann steigt das Bruttosozialprodukt nominal, weil der Geldtransfer steigt, aber die real erbrachte Leistung, die Fürsorge, die beim Kind ankommt, sinkt möglicherweise. Will die Großmutter wieder mehr kommunizieren, muss sie telefonieren, also dafür bezahlen. Obwohl das Sozialprodukt nominal an zwei Stellen gestiegen ist, ist das Ergebnis möglichweise sogar ein Weniger. Wir kommen jetzt zu dem bekannten Großstadtphänomen, dass jemand umso mehr Geld verdienen muss, je tiefer er in der arbeitsteiligen Welt verstrickt wird, nur um dann wieder das gleiche Versorgungsniveau zu erreichen, das er schon vorher hatte. Für die Mitglieder der Gesellschaft, deren Geldeinkommen sich nicht dynamisch entwickeln, gilt dann: Je reicher die Gesellschaft, umso ärmer werden sie. Die Statistik erfasst dieses Phänomen unzureichend, aber es ist erkennbar. Es ist bei uns erkennbar im Ausdünnen des Mittelstandes und im Wachstum des prekären Bevölkerungsanteils. Occupy Frankfurt! Occupy Berlin! Occupy Düsseldorf! Occupy Hamburg! et cetera sind die noch zaghaften Bewegungen, die die Fehlentwicklung auf der Straße artikulieren.
Aber über den Irrtum zur sogenannten Eigenleistung, das Do-it-yourself der Menschen, hinaus gibt es noch etwas, was bei allen herkömmlichen Betrachtungen fehlt, und das sind die Beiträge der sogenannten freien Güter, das sind vor allem Beiträge der Natur, die den allergrößten Anteil an der Wohlfahrt eines Menschen, seinem Wohlstand ausmachen. Wie viel Wohlstand steckt beispielsweise in einem langen Waldspaziergang! Natürlich läuft da eine Versorgung aus der Arbeitsteilung mit, das Brötchen, die Flasche Mineralwasser, der Verbrauch der Schuhsohle, aber das ist doch nicht das, womit man den Spaziergang bewerten kann, oder einen Skiausflug bei strahlendem Sonnenschein oder das Konzert im Atrium von Verona oder das Aufziehen eines Kindes, oder, oder … Man kann natürlich sagen, dass das Wachstum der Marktbewegungen mit dem Wachstum des Genusses an Werten korreliert, aber es ist doch völlig daneben gedacht, wenn man das Kinderglück mit dem Umsatz an Alete-Kost misst, es sei denn, es handelt sich um die ärmsten Bewohner eines Landes. Aber genau das ist es, was die Wachstumsexperten dem Durchschnittsbürger unterstellen: Noch mehr Gläschen Alete, noch mehr Glück! Welch ein Unsinn!
Natürlich korreliert ein Wachstum der öffentlichen Markttransfers und -umsätze mit dem Wohlstand. Höhere Geldeinkommen verschaffen größere Freiheiten, heute insbesondere genutzt für höhere Bewegungsfreiheiten, Flüge, Autos, Motorräder, Schiffsreisen, getrennte Orte für Arbeit und Wohnen. Geld schafft Freiheit. Ich kann mich von der Mühsal des Arbeitslebens befreien, kann ins Flugzeug steigen, muss mir von niemandem mehr etwas vorschreiben lassen, man ist mit der Kreditkarte unterwegs und frei. Unser Freiheitsstreben ist individuell und grenzenlos. Tausend Kilometer sind eine Stunde Flug, also kein Problem, in Hamburg zu arbeiten und zum Wochenende zur Familie nach München zu fliegen. London ist gleichfalls ein beliebter Wochenarbeitsplatz für Spitzenmanager mit deutschem Wohnsitz.
3.4 Do-it-yourself und homo oeconomicus
Allerdings geht das Freiheitsstreben der Menschen auch dahin, sich von der Abhängigkeit von den Märkten zu befreien, das heißt, der Trend zur marktzentrischen Arbeitsteilung hat eine gigantische und dynamische Gegenbewegung, und die heißt Do-it-yourself.
Die Menschen unterziehen sich der Mühsal, ein eigenes Haus zu bauen, um vom Wohnungsmarkt unabhängig zu sein. Sie kaufen sich ein Auto, fahren selbst, um nicht von der Bahn abhängig zu sein. Sie kaufen sich einen Laptop mit E-Mail-Programm und verschicken ihre Briefe selbst, um nicht mehr von der Post abhängig zu sein. Sie kaufen ein iPhone mit Fotofunktion und einen Farbdrucker, um nicht vom Fotografen oder vom Fotogeschäft abhängig zu sein. Oder anders ausgedrückt: Die Leistungserstellung verlagert sich wieder zurück vom öffentlichen Bereich in den privaten, von der Marktwirtschaft in die Hauswirtschaft.
Neben der Freiheit und Unabhängigkeit, die ein eigenes Haus, ein eigenes Auto, ein eigenes Postfach bietet,
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