Occupy Economics
finanzierte fortan nicht mehr das Tagesgeschäft des Kaufmanns oder den Kleinkredit des Bürgers, sondern die Zukunftsinvestitionen der Politik. Die Politik entnahm dem System Geld, obwohl sie außer ihrer doppelten Garantie – anders als die Kaufleute und die Bürger – nichts eingelegt hatte. Das System hat gar keine andere Wahl, als zu kollabieren, weil die Schuldenspirale unaufhaltsam nach unten zeigt. Offen ist, wann das System kollabiert. Die Billionen-Bürgschaften der Staaten für ihre Währungen lassen die sichere Prognose zu, dass diese Verbindlichkeiten niemals zurückbezahlt werden. Die Geschichte der letzten 1 000 Jahre ist voll von immer wiederkehrenden Staatspleiten. Deutschland hatte im vergangenen Jahrhundert im Abstand von 25 Jahren zwei Währungsreformen (1923 und 1948), weil die Schulden nach den jeweiligen Weltkriegen nicht zurückgezahlt werden konnten. Heute haben wir eine reine Wohlstands- und Friedensverschuldung. Aber sie wird wohl das Schicksal der Kriegsschulden teilen.
Die Aussichten sind deshalb nicht schlecht. Das Ganze ist sozusagen ein globaler Lernprozess. Es wird wohl die größte Währungsreform aller Zeiten. Danach geht es fröhlich weiter, weil ja »nur« die globale Buchhaltung kollabiert ist. Alles andere ist stehen geblieben, die Fabriken, die Straßen, die Häuser, die Patente, Produkte und so weiter. Man muss nach so einem Kollaps nur richtig Gas geben, genau so wie nach 1948 in Deutschland, als Ludwig Erhard mit Einführung der D-Mark die Altschulden auf ein Zehntel abwertete und gleichzeitig einem jeden Deutschen 80 D-Mark »in die Hand drückte«. Am nächsten Tag waren alle Schaufenster voll.
Sieht man von den Schwankungen der Währungen ab, so kann man sagen, dass die Finanzwelt in wachsendem Umfang einen Makel hat, der im Kern wohl daran schuld ist, dass wir von einer Krise zur nächsten schlittern. Der Makel besteht darin, dass der Finanzmarkt kein Hinterland hat, ihm fehlt die Bewegung realer Güter, also eine reale Transaktion, die der doppelten beziehungsweise vierfachen Buchung zugrunde liegt. Im Finanzgewerbe wird nur noch gebucht, das Finanzgewerbe ist nichts weiter als eine einzige große Buchhaltung, die sich elektronisch verselbstständigt hat, die teilweise so schnell ist (»high-frequency-trading«), dass sie in Bruchteilen von Sekunden Buchungen und Gegenbuchungen durchführt. Die letzte große Bremse war die Golddeckung, die Bremswirkung des Gewichts der Goldbarren in den Schubkarren von Fort Knox. Die Golddeckung wurde ersatzlos gestrichen. Die elektronischen Transaktionen sind ungebremst.
Vor fast Zweieinhalbtausend Jahren gab es noch keine Elektronik, aber offenbar gab es auch diese Phänomene schon, und sie sind auch von Aristoteles – von wem sonst – beobachtet und beschrieben worden. Aristoteles trennte die Ökonomie (Hauswirtschaft) vom reinen Gelderwerb und nannte letztere Chrematistik. Auch er erkannte schon, dass dem Gelderwerb aus Geld keine Grenzen gesetzt sind, und dass diese gewinnsüchtige Erwerbskunst durch innere Maßlosigkeit bestimmt ist.
In den letzten zehn Jahren erleben wir bei uns die reale Eskalation der Chrematistik 20 , sie brachte die sogenannten »Finanzprodukte« nach oben, deren Bezeichnung »Produkte« fälschlicherweise vorspiegelt, dass man sich im Bereich realer Produkte befinde. In der Tat war hier eine Kreativität zu beobachten, die an realwirtschaftliche Produkte erinnert. Die Begeisterung dafür und deren politische Absegnung entsprang dieser subtilen Vorspiegelung des Produktcharakters. Die Explosion ihres aufgeblasenen Volumens (Fachjargon: Geldblasen), in Verbindung mit der Erschließung der Welt durch totale Kommunikation und das Internet, erzeugte die totale Instabilität der Finanzwelt. Wer sich einloggt, nimmt Teil an den Vibrationen und großen Stimmungswellen, die grenzenlos über die Welt schwappen. Die Geldströme fließen durch die Computerzentralen in Hongkong, London und New York. Dort wo sie am dicksten sind, stehen die Investmentbanker und schöpfen von oben ab. Dem Giralgeld sei Dank!
Den Bankern ist das gelungen, was dem sächsischen König Friedrich August dem Starken und seinem Chemiker Böttger verwehrt war, der aus Keramik Gold machen wollte, woraus dann im Jahr 1708 nur Porzellan wurde. Die Nächsten, denen das gelungen ist, waren die Ölfirmen, die aus dem »schwarzen Gold« über Jahrzehnte gelbes machten und noch heute machen. Die Banker haben sie seit ein paar Jahren spielend
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