Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
ich nicht«, sagte sie plötzlich und richtete ihre überwölkten Pupillen auf Caleb. »Meine übrigen Sinne machen das Sehen unnötig.«
»Ich habe doch gar nichts gesagt«, wehrte er hastig mit rotem Kopf ab und schaute uns an, als wartete er auf Zustimmung.
Als Betty sich zum Gehen wandte, fragte ich schnell: »Wissen Sie vielleicht, wo Paige ist? Wir wollten sie mitnehmen, aber in ihrem Zimmer haben wir sie nicht gefunden.«
Sie blieb in der offenen Tür stehen, ohne sich umzudrehen. »Paige ist sehr krank. Die Schwangerschaft könnte sie umbringen, wenn wir ihr nicht helfen.«
»L’épuration du sang«, sagte Betty, als wir zurück in den Ort fuhren.
»Was bedeutet das?«, fragte ich.
»Läuterung oder Reinigung des Blutes«, übersetzte Caleb und schaute fragend Betty an, die neben ihm auf der Rückbank saß.
»Die Fähigkeiten einer Sirene sind von Geburt an vorhanden, bleiben aber die ersten Jahre ihres Lebens inaktiv. Erst wenn sie herangewachsen und im gebärfähigen Alter ist, bringt man sie zur Zeremonie der Reinigung unter Wasser. Während dieses Wandlungsprozesses wird alle Flüssigkeit in ihren menschlichen Zellen durch Meerwasser ersetzt. Von da an ist es für uns lebensnotwendig, regelmäßig im Salzwasser zu baden und es zu trinken. Raina, Zara und ich würden austrocknen und sterben, wenn wir nicht ständig die Flüssigkeit in unseren Körpern auffrischen würden.«
»Das ist vor ein paar Tagen mit Ihnen passiert?«, fragte ich.
»Ja, genau. Schon zwei Jahre lang hat Raina mir gerade genug gegeben, damit ich von einem Tag auf den anderen überleben konnte. Mein Körper war so schwach, dass auch meine Sinne verwirrt wurden und meine Wahrnehmung litt. Dadurch habe ich tatsächlich erst bemerkt, wie ausgetrocknet ich war, als du mir geholfen hast. Seitdem habe ich ihre Gedanken belauscht.«
Ich spürte Simons Blick auf mir ruhen. Zwar hatte ich ihm erzählt, dass ich bei den Marchands gewesen war, um nach Paige zu sehen, und dabei auch mit Betty gesprochen hatte … aber einen großen Teil hatte ich ausgelassen.
»Warum sollte Raina so etwas tun?«, wollte Caleb wissen.
»Meine Tochter war immer fasziniert von dem in ihr steckenden Potential, von der Macht der Sirenen. Sie wusste, dass ich mein Leben geändert hatte, um das Leben anderer zu schützen, doch sie war neugierig. Ich hoffte, das läge nur daran, dass sie selbst nie miterlebt hatte, wie zerstörerisch unsere Kräfte sind … Aber nun weiß ich nicht mehr, was ichdenken soll.« Sie brach einen Moment ab. »Jedenfalls hat Raina meinen Unfall genutzt, um Vorteil aus meinem Zustand zu ziehen. Seitdem hat sie dafür gesorgt, dass ich schwach genug blieb, um sie nicht von der Erforschung ihrer Kräfte abhalten zu können.«
»Was ist mit Paige?«, fragte ich. »Sie geht nicht jeden Tag ins Meer, und trotzdem hat sie keine Probleme.«
»Sirenen brauchen den ständigen Flüssigkeitsaustausch erst nach der Reinigung. Bei Zara war der Zeitpunkt kurz nach meinem Unfall. Raina wollte sich zuerst auf sie konzentrieren – ihr beibringen, wie sie ihre Schönheit einsetzen konnte, die durch die Wandlung noch gesteigert war, und Zara bei der Entwicklung ihrer Kräfte helfen. Danach hätte sie sich um Paige gekümmert, deren Zeremonie diesen Sommer anstand … aber unglücklicherweise ist sie vorher schwanger geworden. Deshalb geht es ihr so schlecht. Ihr Körper ist noch nicht dafür ausgerüstet, dem Baby zu geben, was es braucht. Aus diesem Grund ist sie krank geworden.«
»Wir kommen näher«, sagte Caleb plötzlich, sackte im Sitz zusammen und stopfte sich die iPod-Stöpsel in die Ohren.
Ich spürte Zaras Gegenwart ebenfalls, aber ließ mir nichts anmerken. »Zara war in Caleb verschossen«, erklärte ich Betty, während wir in einen Weg einbogen, der parallel zur Hauptstraße verlief. »Sie hat versucht, ihn zu bekommen, aber er –«
»Liebte Justine«, vervollständigte Betty mit sanfter Stimme. »Ich weiß.«
Wir stellten den Wagen hinter einer Baumreihe ab, die sich am Ende des Parkplatzes befand. Ein paar hundert Meter entfernt beim Fischerhaus standen Louis und einige Kellner an einem Stand und schenkten Suppe aus. Eine Menschenmenge hatte sich um sie versammelt.
»Paige ist drinnen«, sagte Betty und neigte den Kopf lauschend in Richtung des Restaurants. »Sie ist allein. Niemand hat ihr gesagt, was für heute geplant ist. Sie wird euch nicht gleich glauben und Fragen stellen. Gebt ihr eure Beweise und erzählt, was ihr
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