Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
heruntertrabte. Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, das Radio und das Licht auszuschalten, bevor ich aus dem Haus ging. Und statt an meiner Stelle dafür zu sorgen, wie man das wohl gewöhnlich für jemanden tat, dessen Gedanken woanders waren, hatte Simon den Fernseher für mich angeschaltet.
»Okay, wohin soll es denn gehen?«, fragte ich, schloss die Tür und eilte ihm nach. »Wo fangen wir an?«
Er ging einen Schritt schneller, als wir uns seinem Kombi näherten, und hielt die Beifahrertür für mich auf. »Beim Hafen.«
Er klappte die Tür zu und ging hinten um das Auto herum. Währenddessen schaute ich mich im Inneren um, als würde ich zum ersten Mal hier sitzen. Simon hatte den Allradwagen gleich nach der bestandenen Fahrprüfung gekauft und zwei Sommer lang den Chauffeur für unsere kleine Truppe gespielt, uns zum Kino, zu Eddies Eisdiele und zum Minigolfplatz gefahren. Aber jetzt waren wir beide zum ersten Mal allein. Es fühlte sich seltsam an, hier vorne zu sitzen und nicht auf das Ruckeln zu warten, wenn Justine und Caleb hinten einstiegen. Und vor allem war es seltsam, darüber nachzudenken, dass wir beim letzten Mal in diesem Wagen noch zu viert gewesen waren.
»Hast du Hunger?«, fragte er, ließ sich auf den Fahrersitz fallen und drehte den Zündschlüssel um. »Ich habe uns Snacks mitgebracht.«
Ich wollte schon antworten, dass ich keinen Appetit hatte, als ich die beiden Plastikbecher auf der Ablage zwischen uns stehen sah.
»Melone-Guave-Smoothie«, sagte er und nickte dann in Richtung einer Tüte mit dem Harbor-Homefries -Logo. »Und ein Brötchen mit Rührei, Käse und Würstchen.«
Ich schnappte mir die Tüte, immer noch ganz verblüfft, dass er mein Lieblingsfrühstück kannte. Wir vier hatten morgens nie zusammen gegessen, was bedeuten musste, dass ich es irgendwann nebenbei erwähnt hatte … und Simon hatte es sich gemerkt. Seine Fürsorge war so rührend und diese Geste so liebenswert, dass ich ihn gar nicht anschauen konnte, während ich das Brötchen auswickelte. »Danke.«
Das Frühstück half nicht nur gegen den Hunger, sondern gab uns auf der Fahrt in den Ort auch etwas anderes zu tun, als miteinander zu reden. Nicht dass ich kein Gespräch mit Simon anfangen wollte; ich wusste nur nicht, was ich sagen sollte. Es fühlte sich an, als hätten wir ein paar Jahrzehnte übersprungen und würden unter dem Empty-Nest-Syndrom leiden. Worüber sollten Eltern nach all der Zeit schon sprechen außer über die Kinder, die nicht mehr da waren?
»Okay«, sagte Simon schließlich, als wir zwanzig Minuten später beim Hafen ankamen. »Bevor wir aussteigen, muss ich dich um einen großen Gefallen bitten.«
Ich hatte aus dem Autofenster gestarrt, aber jetzt wandte ich mich ihm zu.
»Ich habe keine Ahnung, wo Caleb gewesen ist und was er getrieben hat. Unsere Eltern und ich wollten ihm genug Zeit und Freiheit lassen, um auf seine Weise mit allem fertigzu werden. Aber wir hatten erwartet, dass er schneller wieder zurück sein würde. Also, je nachdem, wo er gewesen ist, muss dir klar sein, falls wir ihn finden –«
»Wenn wir ihn finden«, verbesserte ich.
Er stieß kurz den Atem aus. »Wenn wir ihn finden, weiß ich nicht, in was für einem Zustand er sein wird. Menschen reagieren verschieden auf traumatische Erlebnisse, und so wie Caleb von zu Hause verschwunden ist … Ich weiß einfach nicht, wie er sich verhalten wird, nachdem er so lange allein und auf sich selbst gestellt war.«
»Okay.«
Er schaute durch die Windschutzscheibe auf zwei vorbeispazierende Angler mit ihrer Ausrüstung. »Würde es dir was ausmachen, nichts zu sagen?« Er wandte sich wieder zu mir um, und ich las die Entschuldigung in seinem Blick. »Zumindest nicht gleich zu Anfang? Ich weiß ja, dass er Justine als Letzter gesehen hat und dass du Fragen zu dieser Nacht hast.«
Ich schaute zu Boden und spielte an dem Strohhalm in meinem leeren Smoothie-Becher herum. Simon hatte keine Ahnung, dass meine Fragen an Caleb viel weiter gingen. Sie betrafen nicht nur diese eine Nacht, sondern all die Wochen und Monate, die darauf hingeführt hatten. Simon konnte nicht wissen, dass ich mir von Caleb Antworten auf alles erhoffte, was ich zwei Jahre lang scheinbar über Justine gewusst hatte, während sie mich in Wahrheit wer weiß wie lange im Dunkeln gelassen hatte.
»Ich bin sicher, dass er dir alles sagen wird, was du wissen willst«, fuhr Simon fort, »aber wir sollten ihm sein eigenes Tempo lassen. Dich zu
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