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Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)

Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Verwandlung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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wollte, starrte ich durch das Fenster nach draußen. Drei Augenpaare schienen mir Löcher in die Kleidung zu brennen, und ich wusste, auch ohne hinzuschauen, dass außer Simon noch der schmierige Red-Sox-Fan und Parker King ungeduldig auf meine Antwort warteten.
    Ich konzentrierte mich auf den Anblick der orangeroten Herbstblätter, die von den Bäumen auf den Bürgersteig trudelten, atmete tief durch und gab Simon meine Antwort.
    »Ich denke, wir sollten uns trennen.«

K APITEL 15
    E mily Dickinson ist voll fett.«
    Ich schaute von meinem Geschichtsbuch hoch. Dad saß am anderen Ende unseres kleinen Gartens am Frühstückstisch und starrte verwirrt auf seinen Bildschirm.
    »Hast du eine Idee, was das bedeuten soll?«
    »Steht das in einer Hausarbeit, die du korrigierst?«
    »Ja, genau. Das hat eine meiner Studentinnen geschrieben. Über eine der größten Lyrikerinnen der amerikanischen Literatur«, bestätigte er. »Ich glaube kaum, dass sie übergewichtig war.«
    »Nein, ›fett‹ ist ein Ausdruck für Anerkennung. Deine Studentin will sagen, dass sie Emily Dickinson mag.«
    Er lehnte sich mit aufgerissenen Augen zurück, als hätten sich die Worte auf dem Bildschirm gerade zu einer feindlichen Armee gruppiert, die drohte, sein literarisches Vokabular zu attackieren. »Aha! Warum schreibt sie dann etwas ganz anderes?«
    Ich musste lächeln, verbarg diesen Ausrutscher aber hinter dem Geschichtsbuch. Bloß weil ich nach draußen geflüchtet war, um Moms neuer Backorgie zu entgehen – durch die unsere Küche viel zu heiß zum Lernen war –, brauchte Dad sich nicht zu benehmen, als seien wir Studienkumpel.
    »Ich hole mir einen Tee.« Er stand auf und streckte sich. »Möchtest du auch etwas? Vielleicht einen Pulli zum Überziehen?«
    Die Frage war verständlich, denn die Temperatur lag bei geschätzten zehn Grad. Während Dad sich in einen Wollpullover und eine dicke Cordhose gehüllt hatte, trug ich ein sommerliches T-Shirt und hatte die Beine meiner Jeans bis zu den Knien hochgekrempelt.
    Ich wollte gerade ablehnen, als ich seinen Laptop zuklicken hörte.
    Dad wollte Tee kochen, was kaum länger als fünf Minuten dauern würde – und trotzdem hatte er seinen Laptop zugeklappt, als wolle er sichergehen, dass ich keinen Blick auf den Bildschirm warf.
    »Mein blauer Fleecepulli wäre toll.« Ich ließ das Geschichtsbuch sinken und lächelte Dad strahlend an. »Wahrscheinlich liegt er im Schrank in meinem – nein, in Paiges – Zimmer.«
    Sein Gesicht leuchtete auf, als habe er gerade ein Lehrangebot aus Harvard erhalten. Die einfache Tatsache, dass ich ihn um einen Gefallen bat, machte ihn überglücklich. Fast bekam ich ein schlechtes Gewissen, zumal der blaue Fleecepulli im Wäschekorb lag, nicht in Paiges Schrank, und mir klar war, dass Dad auf keinen Fall mit leeren Händen zurückkehren wollte.
    Aber was bedeutete inzwischen schon eine Lüge mehr?
    Ich schaute ihm nach, als er mit schweren Schritten die Stufen hinaufstapfte und die Hintertür öffnete. Kurz darauf sah ich das Treppenlicht aufflammen. Ich tat so, als würde ich lesen, während er am Fenster vorbeiging. Danach wartete ich eine weitere Minute, damit er Zeit hatte, den Flur in der oberen Etage zu erreichen.
    Kaum war die Minute um, warf ich mich aus meiner Hängematte und sauste zum Frühstückstisch.
    Der Laptop war ein altes Modell und stellte sich nicht von selbst ab, wenn man den Deckel zuklappte. Deshalb leuchteten sofort wieder die Desktop-Symbole auf, ohne dass ich ein Passwort eingeben musste. Ich fuhr mit dem Cursor auf Start und schaute kurz über die Schulter, um sicherzugehen, dass Mom mich nicht von der Küche aus beobachtete. Doch sie hatte mir den Rücken zugewandt, während sie am Herd herumwerkelte. Also nahm ich mir wieder den Laptop vor und schaute nach, welche Dokumente Dad in letzter Zeit geöffnet hatte.
    Die Liste war kurz. Das oberste Dokument trug den Titel W1011. Ich klickte darauf, bevor ich die Nerven verlor.
    Da Dad aus dem Inhalt seines Laptops so ein Geheimnis gemacht hatte, erwartete ich keine studentische Hausarbeit über Emily Dickinson. Allerdings hätte ich auch nie erraten, was ich stattdessen fand.
    Ein datiertes Tagesprotokoll, ganze zwanzig Seiten lang, dessen Einträge mehrere Wochen zurückreichten. Einige Texte bestanden nur aus wenigen Sätzen, andere waren beträchtlich länger.
    Alle handelten von mir.
    Ich warf noch einen Blick zum Küchenfenster. Mom wühlte in einem Schrank herum, und bei der

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