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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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waren noch mit der Alliance vertäut, kämpften aber schon mit dem Meer und der Angst. Und er ließ sich, im Leeren pendelnd, seelenruhig auf sein Rettungsboot abseilen, jenen Engeln gleich, die in den Stadttheatern von der Decke herabschweben. Sie schwangen, er und sein Sessel, wie ein Pendel. Und ich dachte: Er baumelt wie ein Erhängter in der Abendbrise.
    Ich weiß nicht mehr den genauen Zeitpunkt, an dem sie uns im Stich ließen. Ich hatte zu kämpfen, um auf den Beinen zu bleiben und Thérèse bei mir zu halten. Aber ich hörte Gebrüll und dann Schüsse. Ich blickte auf. Und über Dutzende schwankender Köpfe und Dutzende hochgerissener Arme hinweg sah ich das Meer und die fernen Rettungsboote und das Nichts zwischen uns und ihnen. Ich schaute ungläubig. Ich wußte, daß sie nicht zurückkommen würden. Wir waren in den Händen des Zufalls. Nur Glück konnte uns noch retten. Aber das Glück ist nie mit den Unterlegenen.
    Thérèse war ein junges Mädchen. Ich weiß nicht, wie alt sie wirklich war. Jedenfalls sah sie aus wie ein junges Mädchen. Als ich in Rochefort war und dort im Hafen arbeitete, ging sie mit Körben voller Fisch an mir vorüber und schaute mich an. Sie schaute mich so lange an, bis ich mich in sie verliebte. Alles, was ich dort unten hatte, war mein Leben, soweit es etwas wert war, und sie. Als ich mich für die Spedition zu den neuen Kolonien anwerben ließ, gelang es mir, sie als Marketenderin anheuern zu lassen. So schifften wir uns beide auf der Alliance ein und fuhren ab. Es war wie ein Spiel. Wenn man es bedenkt, war es in den ersten Tagen wie ein Spiel. Wenn ich je erfahren habe, was es heißt, glücklich zu sein, in jenen Nächten waren wir es. Als ich unter denen war, die auf das Floß steigen sollten, wollte Thérèse mit mir kommen. Sie konnte in ein Rettungsboot steigen, aber sie wollte zu mir kommen. Ich sagte ihr, sie solle keinen Unsinn machen, wir würden uns an Land wiedertreffen, sie solle keine Furcht haben. Aber sie wollte nicht auf mich hören. Es waren Männer darunter, groß und stark wie Felsen, die wimmerten und bettelten um einen Platz auf den verdammten Rettungsbooten, sie sprangen vom Floß herunter und riskierten, umgebracht zu werden, bloß um von da wegzukommen. Sie aber bestieg das Floß, ohne ein Wort zu sagen, und verbarg alle Angst, die sie hatte. Frauen machen manchmal Sachen, daß einem die Spucke wegbleibt. Da kannst du es ruhig dein ganzes Leben lang versuchen: aber du wirst es niemals schaffen, so eine Leichtigkeit zu bekommen, wie sie sie manchmal haben. Sie sind innerlich leicht. Innerlich.
    Nachts starben die ersten, fortgerissen von den Wellen, die über das Floß peitschten. In der Finsternis hörte man, wie sich ihre Schreie nach und nach entfernten. Bei Morgengrauen fehlten etwa ein Dutzend Leute. Einige lagen, von anderen zertrampelt, eingeklemmt zwischen den Bohlen des Floßes. Die vier Offiziere nahmen zusammen mit Corréard, dem Kartographen, und Savigny, dem Arzt, die Sache in die Hand. Sie hatten die Waffen. Und sie bewachten die Vorräte. Die Männer vertrauten ihnen. Lheureux, einer der Offiziere, hielt auch eine schöne Rede, ließ ein Segel hissen und sagte: Es wird uns an Land bringen, und wir werden die verfolgen, die uns verraten und im Stich gelassen haben, und wir werden nicht eher ruhen, bevor sie nicht unsere Rache zu schmecken bekommen haben. Genauso sagte er: bevor sie nicht unsere Rache zu schmecken bekommen haben. Er benahm sich nicht wie ein Offizier. Er benahm sich wie einer von uns. Die Männer erwärmten sich bei seinen Worten. Wir dachten alle, daß es wirklich so ausgehen würde. Man mußte nur durchhalten und keine Angst haben. Das Meer hatte sich geglättet. Der leichte Wind blähte unser Behelfssegel auf. Jeder von uns bekam seine Ration zu essen und zu trinken. Thérèse sagte zu mir: Wir werden es schaffen. Und ich sagte: Ja.
    Es war bei Sonnenuntergang, als die Offiziere, ohne ein Wort zu sagen, eines der drei Weinfässer von dem Kasten herunterstießen und es in unsere Mitte rollen ließen. Sie rührten keinen Finger, als einige sich darauf stürzten, es aufmachten und zu trinken begannen. Die Männer liefen zu dem Faß, es gab ein großes Durcheinander, alle wollten von dem Wein, und ich durchschaute es nicht. Ich bewegte mich nicht und hielt Thérèse dicht bei mir. Es war etwas Merkwürdiges in alldem. Dann waren Gebrüll und Axtschläge zu hören, mit denen jemand versuchte, die Seile durchzuhauen, die das

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