Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
für Literatur interessierte, schon gehört hatte. Michael allerdings erinnerte sich noch deutlich an ihn aus seiner Studentenzeit. Er hatte an seinen Vorlesungen teilgenommen, als er sich auf das Examen vorbereitete. Während er noch einmal wählte, tauchte der dunkle Anzug vor seinen Augen auf, die Nelke im Knopfloch, und vor allem die sehnsüchtigen Blicke der Studentinnen.
Vorsichtig erkundigte er sich, ob Tirosch ein Verwandter von ihr sei. »Nein«, sagte Ruth, und ihr Pferdeschwanz schwang hin und her, als sie den Kopf schüttelte. »Aber er steht Ido nahe. Er war Idos Doktorvater, und ich dachte ...« Wieder brach sie in Tränen aus. »Man kann es Idos Eltern nicht am Telefon sagen, sie sind alt und krank, und sein Vater hat einen Herzanfall hinter sich, und sein Bruder ist auf einer Reise durch Südamerika, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Michael blätterte mechanisch in dem Telefonverzeichnis, das neben dem Telefon lag, und fragte wieder, wen sie jetzt am liebsten bei sich hätte. »Vielleicht eine gute Freundin?« fragte er.
Schließlich nannte sie einen Namen. Michael wählte die Nummer, und die Freundin erklärte sich mit schockierter Stimme sofort bereit zu kommen. Dann wählte er die Nummer von Eli Bachar, dem Polizeiinspektor, mit dem er jahrelang zusammengearbeitet hatte, gab ihm die Details durch, die Ruth Duda'i unter immer neuen Tränenausbrüchen genannt hatte, und bat ihn, Ido Duda'is Eltern zu benachrichtigen. »Nimm einen Arzt mit, die Eltern sind alt, und der Vater hat Probleme mit dem Herz.«
Dann bat Ruth Duda'i ihn noch, die Sekretärin der Fakultät, Adina Lifkin, zu benachrichtigen. Auch das tat Michael.
Schließlich erschien eine energische junge Frau namens Rina. Sie nahm Ruth, die ganz starr wurde, dramatisch in den Arm, klopfte ihr auf die Schulter und verkündete: »Ich stelle Wasser auf.«
Usi und Michael verließen die Wohnung. Michael winkte ungeduldig ab, als er Usis Dankesworte hörte. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß diese Angelegenheit damit noch nicht zu Ende sein würde.
Drittes Kapitel
Das Telefon neben Ruchamas Ohr klingelte schrill. Hastig nahm sie, fast noch schlafend, den Hörer ab. Dann bemerkte sie, daß Tuwja nicht in seinem Bett lag. Sie nahm an, daß er auf dem Sofa in seinem Arbeitszimmer eingeschlafen war, was regelmäßig geschah. Am anderen Ende der Leitung hörte sie eine hysterische, zitternde Stimme. Ruchama sah, daß es noch nicht einmal halb acht Uhr morgens war. »Hallo«, sagte Adina Lifkin noch einmal, diesmal mit festerer Stimme, und Ruchama antwortete müde: »Ja?«
»Frau Schaj?« fragte Adina, und sofort sah Ruchama das Haar der Fachbereichssekretärin vor sich, das in feste Wellen gelegt war, und die dicken Hände, die in einem Naturjoghurt- und Gurkengemisch rührten.
»Ja«, sagte Ruchama. Sie achtete im Umgang mit Adina streng darauf, auf einer offiziellen Ebene zu bleiben, sie redeten nie über Rezepte, ihre Gesundheit oder persönliche Erfahrungen, und deshalb wagte Adina auch nicht, sie beim Vornamen zu nennen.
»Hier ist Adina Lifkin, die Sekretärin der Fakultät«, sagte Adina, wie sie es während der letzten zehn Jahre fast jeden Morgen zu Ruchama gesagt hatte. Ruchama hatte nichts unternommen, um das vertraute Muster zu durchbrechen.
»Ja«, sagte sie sachlich und hoffte, daß der Ton ihrer Stimme keine Möglichkeit zur Eröffnung eines Gesprächs bot.
»Eigentlich wollte ich gern mit Dr. Schaj sprechen«, sagte Adina mit einer gewissen Verzweiflung in der Stimme und begann zu erklären, daß es ihr angenehmer sei, um diese Zeit zu telefonieren, da an diesem Tag sehr viel Arbeit auf sie wartete. »Und später sind alle Leitungen besetzt, wissen Sie.« Ruchama sagte kein Wort.
»Vielleicht können Sie mir ja auch helfen?« fragte Adina und wartete die Antwort nicht ab. »Eigentlich suche ich Professor Tirosch. Seit gestern versuche ich, ihn zu erreichen. Und weil die Angelegenheit dringend ist, habe ich mir gedacht, daß Sie mir vielleicht helfen könnten. Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
»Nein«, sagte Ruchama. Sie wurde langsam wach, und gleichzeitig spürte sie, wie das bedrückende Unbehagen der letzten Tage wieder von ihr Besitz ergriff. Die »dringenden Angelegenheiten« Adina Lifkins waren schon immer Dinge gewesen, die wochenlang warten konnten, das wußte Ruchama.
»Gut. Jedenfalls vielen Dank. Entschuldigen Sie die Störung, ich habe nur gedacht, daß Dr. Schaj vielleicht wüßte, wo ich ihn
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