Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
mir so: Duda'i kam aus Amerika zurück, zwei Wochen und einen Tag bevor er starb. Irgendwann während dieser Zeit war er bei Tirosch, oder auch, bevor er gefahren ist. Jedenfalls ist es einige Zeit her, weil wir sonst nirgends Fingerabdrücke von ihm gefunden haben, außer auf der Flasche. Das heißt, daß inzwischen geputzt worden ist, anders kann ich mir das nicht erklären.«
»Und ich kann mir nicht erklären, warum du mir das noch nicht erzählt hast. Wann, sagst du, war er dort?«
»Das ist es ja, wir wissen es nicht«, sagte Michael ruhig. »Seine Frau weiß nicht, wo er abends war. Er ist oft weggegangen, ohne ihr was zu sagen. Bevor er nach Amerika gefahren ist, war alles in Ordnung, damals wußte sie noch, wohin er ging, und sie sagt auch, daß er sich normalerweise nicht mit Tirosch in dessen Haus getroffen hat, das war nicht üblich.«
»Das heißt«, sagte Schorr mit entschiedenem Ton und legte wieder die Hand auf den Türgriff, »daß sie sich getroffen haben, nachdem Duda'i aus Amerika zurückgekommen ist, aber vor dem Fakultätsseminar. Daß es zwischen ihnen vielleicht zu einer Konfrontation gekommen ist.«
Michael schwieg, und Schorr sprach weiter: »Hast du das Gesicht von Tirosch gesehen, im Film? Den verblüfften Ausdruck? Als wäre er schockiert von dem, was Duda'i gesagt hat.«
»Ich habe es gemerkt«, sagte Michael zögernd. »Aber in seinem Gesicht war mehr Angst als Überraschung, als habe er nicht erwartet, daß vor diesem Forum ...«
»In Ordnung«, unterbrach ihn Schorr, »ich komme wieder darauf zurück, es gibt nur einen Weg, herauszubekommen, ob Tirosch sich an den Preßluftflaschen zu schaffen gemacht hat, nämlich nachzuforschen, ob er sich Kohlenmonoxyd beschafft hat.« Er öffnete die Autotür und stieg aus. Dann bückte er sich noch einmal und schob den Kopf durch das offene Fenster, lächelte und sagte: »Wir haben schon schwierigere Dinge in unserem Leben geschafft. Schlaf gut.« Er schlug mit der Hand auf das verstaubte Autodach.
Um ein Uhr nachts parkte Michael Ochajon das Auto vor seinem Haus und stieg langsam aus. Noch immer klangen ihm die Stimmen in den Ohren. Der graue Einband des Buchs von Anatoli Ferber fiel ihm ein, das noch immer auf seinem Bett lag. Er überlegte, was Ido Duda'i wohl dazu veranlaßt haben könnte, seine akademische Karriere zu gefährden, indem er ausgerechnet ein politisches Gedicht Tiroschs kritisierte. Noch dazu bei einem Fakultätsseminar, dachte er, als er die Tür seines Autos abschloß. Er wußte, daß er die nächsten Stunden in dem Gedichtband lesen würde.
Von außen konnte man nicht sehen, ob in seiner Wohnung Licht brannte. Nur das Küchenfenster ging zur Straße, die anderen Fenster lagen auf der Hangseite, einem Wadi gegenüber. Wie viele Wohnungen in Jerusalem war auch seine, zu der man eine Treppe hinuntersteigen mußte, am Vormittag von Licht überflutet.
Es war die dritte Wohnung, in der er seit seiner Scheidung lebte. Er hatte sie nun schon vier Jahre und bemühte sich, sie als dauerhaften Wohnsitz zu betrachten. Damals, nach der Trennung von Nira, war ihm klar gewesen, daß er vielleicht nie mehr eine eigene Wohnung besitzen würde, und seither versuchte er, jede Wohnung als Zuhause zu betrachten. Bei mir gibt es zwar keine Blumentöpfe, dachte er, als er im Treppenhaus den Kaktus stehen sah, den irgend jemand von der Mietergemeinschaft hartnäckig goß, aber dafür ist die Wohnung immer aufgeräumt, im Kühlschrank gibt es was zu essen, und die Möbel, die er im Laufe der Zeit angeschafft hatte, vermittelten auch Juval das Gefühl, es handle sich um ein Zuhause.
Drei Zimmer, ziemlich klein, vor dem Wohnzimmer eine langgestreckte Terrasse, die in eine Grünfläche überging. Im Wohnzimmer standen ein braunes Sofa und zwei alte Sessel, die er mal geerbt hatte, und obwohl ihre Farben nicht zum Sofa paßten und sie eigentlich zu schwer für das kleine Zimmer waren, so waren sie doch bequem. Ich könnte sie neu beziehen lassen, dachte er. Neben dem blauen Sessel stand eine Leselampe, auf dem Boden lag ein großer, dünner Teppich, den er nach der Scheidung von seiner Mutter bekommen hatte, und auf einem Regal in der Ecke standen die Stereoanlage und der Fernseher. In einem kleinen Regal neben dem blauen Sessel standen einige Bücher, an denen er besonders hing (alle Bände von John le Carre, auf hebräisch und englisch, Gedichte von früher von Nathan Alterman, Verschiedene Gedichte von Sach, Gebrauchsgedichte von Avidan und
Weitere Kostenlose Bücher