Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
habe, es gibt kleine Gruppen, Cliquen, die sich nachmittags besuchen. Und sonst ... man heiratet, man bekommt Kin der, mit denen man seine Nachmittage verbringt. Dann bringt man sie ins Bett, und wenn man zum Beispiel drei Kinder hat, das ist bei uns der Durchschnitt, dann ist es acht, bis man damit fertig ist. Dann geht man in den Speisesaal oder man ißt im eigenen Zimmer. Und anschließend gibt es auch noch was zu tun, Ausschüsse, kulturelle Aktivitäten, was weiß ich ...« Seine Stimme wurde immer leiser.
»Es gibt hier also Leute, die nie zusammenkommen? Sich besuchen oder so?« fragte Machluf Levi erstaunt.
»Ja, natürlich. Man geht manchmal bei jemandem vor bei, um etwas zu fragen oder abzuholen, dann setzt man sich auch hin, aber nehmen wir mal die älteren Mitglieder, die Unverheirateten, nein ... es ist anders als in der Stadt, nehme ich an.«
»Und wenn jemand mal über ein persönliches Problem sprechen möchte, über eine Krise in seiner Ehe, sagen wir mal, vorausgesetzt, es gibt so etwas hier«, sagte Michael, und Mojsch nickte, »zu wem geht er dann? Mit wem spricht er?«
»Jetzt, wo Sie mich das fragen«, sagte Mojsch mit wachsender Verblüffung, »weiß ich nicht, was ich antworten soll. Man spricht mit Dworka, manche reden auch mit mir oder jemand anderem. Man geht zur Krankenschwester, was weiß ich? Als wir jung waren, sind wir mit allen Problemen zur Krankenschwester gegangen. Gut, es gibt auch einen Psychologen, aber er lebt nicht im Kibbuz, ich weiß wirklich nicht ...« Wieder wurde seine Stimme leise, doch dann sagte er abschließend: »Aber alle wissen alles über alle.«
»Und wie soll das gehen?« fragte Michael. »Sie meinen, man sieht alles oder wie?«
»Ich weiß nicht, wie. Es gibt Gerüchte, was weiß ich? Man wohnt dicht zusammen, man sieht alles, man kennt sich von Geburt an, man weiß alles.«
»Sie können mir also nicht sagen, wer ihr nahegestanden hat? Außer Ihnen? Außer Ihrer Familie?«
Mojsch schüttelte langsam den Kopf. »Osnat war ziem lich verschlossen. Man wußte nicht viel über sie, wenn man sie nicht kannte. Sie hat nie über sich selbst gesprochen, kein einziges Mal.«
Verrückt, dachte Michael. Laut sagte er: »Also mit wem sollte ich sprechen, außer mit der Familie?«
»Da wären die Leute, die sich mit Erziehungsfragen beschäftigen, die haben mit ihr zusammengearbeitet. Ich kann Ihnen die Namen geben, das ist kein Problem, Sie können mich alles fragen, was Sie wissen wollen. Ich werde Ihnen alles sagen, ich habe nichts zu verbergen.«
»Gut. Bevor wir zu der Familie gehen, sagen Sie mir doch bitte, ob Osnat Feinde hatte«, sagte Michael, und als er sah, daß Mojsch den Mund aufmachte, um zu protestieren, fügte er schnell hinzu: »Denken Sie bitte über die Frage nach, bevor Sie explodieren.«
»Sehen Sie«, sagte Mojsch zögernd, »Osnat, ich glaube, sie ... sie war sehr schön, und das macht sicher böses Blut. Und sie hat Juwik geheiratet, und Dworka ist ihre Schwiegermutter, und alle hier schätzen Dworka sehr, das ist bestimmt auch ein Grund für Neid.« Wieder legte er die Hand auf die Brust. »In den Kibbuzim gibt es auch Böses, auch Gehässigkeit.« Sein Gesicht verzog sich. »Ich behaupte nicht, daß es das alles bei uns nicht gibt.« Er schien in sich selbst zu versinken.
»Können Sie mir Namen nennen?«
»Wozu?« fragte Mojsch mißtrauisch, dann sagte er entschieden: »Ich bin nicht bereit, diese Richtung mitzumachen. Sie sind verrückt, das habe ich schon gesagt. Ich soll Ihnen Namen von Leuten nennen, die ... was? Die sie umbringen wollten?«
Michael schwieg.
»So etwas gibt es nicht und hat es nicht gegeben«, entschied Mojsch. »Und so etwas wird es auch nicht geben. Ich sage Ihnen, Sie verstehen einfach nicht, was das ist, ein Kibbuz. Das ist wie eine große Familie. Wie können Sie so etwas überhaupt denken?«
»Sie haben selbst gesagt, daß es hier auch Böses gibt«, erinnerte ihn Michael freundlich.
»Böses, ja. Natürlich gibt es Böses, es geht hier ja um Menschen. Aber Brutalität gibt es nicht. Bestimmt nicht in so einer Form.«
»Gut, versuchen wir es anders«, schlug Michael vor. »Fangen wir mit dem Parathion an.«
»Was heißt das, mit dem Parathion?« fragte Mojsch. Seiner Stimme war anzuhören, daß er sich etwas beruhigt hatte.
»Soviel ich weiß, hat das Landwirtschaftsministerium die Verwendung von Parathion verboten«, sagte Michael.
Mojsch nickte. Dann lächelte er, das erste Lächeln, seit sie
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