Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
sehen.«
»Ich verzichte nicht auf den Fall«, sagte Michael drohend.
»Mal sehen«, nickte Schorer, »mal sehen, was wird. Es hängt alles von der weiteren Entwicklung ab.«
Michael starrte auf die Wand. Zu den Farbflecken der Pastelle der Jerusalemer Landschaft. Auch auf das Baby ver zichte ich nicht, sagte er sich still. Ich lasse es mir nicht so einfach nehmen, ohne ... Er sah Schorer an.
»Ruth Maschiach hat mir gesagt, sie hätte dich gewarnt. Dieses Baby war nicht dein Baby, und sie haben es auch nicht aus deiner Wohnung geholt. Es war bei Nita. Alles dient dem Wohl der Kleinen. Das darfst du nicht vergessen. Jemanden zu lieben heißt, an sein Wohl zu denken. Du hast es selbst oft genug erklärt«, sagte Schorer. »Und man hat es zu ihrem Wohl getan. Du wirst es überstehen und verzichten, denn du weißt genau, daß es seine Richtigkeit hat.«
11
So etwas hatten wir
noch nicht
Das Telefon klingelte, als Schorer die Tür von innen abschloß. Als befürchte er das Schlimmste, wurde er blaß und griff hastig nach dem Hörer. Schon im nächsten Augenblick entspannten sich seine Züge. »Er ist hier«, hörte Michael ihn sagen und tief ausatmen. »Wir sind gerade nach Hause gekommen. Ich habe schon befürchtet, sie rufen mich ins Krankenhaus«, erklärte er und machte Michael ein Zei chen, näher zu kommen.
Wegen Michael – seiner geplanten Fahrt zu Dora Sackheim nach Holon und nach Beth Daniel – hatten sie die Sitzung für sieben Uhr morgens angesetzt. Frisch rasiert ging Schorer zum Wagen und setzte sich auf den Beifahrersitz, nachdem er bemerkt hatte: »Den zweiten Kaffee trinken wir dort. « Tatsächlich untersuchte er als erstes die beiden schwar zen Thermoskannen, die in der Mitte des Tischs standen.
»Früher hatten wir hier eine arabische Kaffeekanne«, be klagte er sich, als er mit dem raffinierten Verschluß einer der Kannen kämpfte. »Sie brachten die große Kanne herein, und man bekam auf der Stelle einen Kardamom-Schock. Al lein der Duft hat einen geweckt. Aber das war in prähistorischen Zeiten, lange vor deiner Zeit.« Er öffnete den Dekkel, beugte sich über die Kanne und roch daran. »Instantkaffee«, sagte er angewidert. »Wie im Krankenhaus. Wer trinkt hier eigentlich dieses Gebräu«, murrte er und öffnete die zweite Kanne.
»Ich«, gestand Zila, die übernächtigt am Eingang stand und sich die Augen rieb. Sie bewegte ein wenig den Kopf, und ihre langen, silbernen Ohrringe schaukelten. »Balilati kommt sofort. Er ist unterwegs vom Labor der Spurensicherung. Er war wegen des Gemäldes dort. Er mußte es eigenhändig abgeben, er hat nicht zugelassen, daß jemand es für ihn hinbringt.« Sie sprach mit demonstrativer Sachlichkeit, als habe sie sich entschieden, nichts zu beurteilen und ihre wahren Gedanken nicht preiszugeben. Sie steckte die Hand in den Gürtel ihrer Hose. »Ich habe zwei Sorten Kaf fee gemacht. Gestern nacht habe ich nur anderthalb Stun den geschlafen, hier im Büro.« Plötzlich erschrak sie und fragte: »Wißt ihr eigentlich, daß wir das Gemälde gefunden haben? Er wollte euch anrufen. Ich habe ihm gesagt, daß du bei ihm bist.«
»Er hat gestern nacht angerufen. Wir waren kaum in der Wohnung«, beruhigte sie Schorer. »Er wußte, daß Michael bei mir ist«, sagte er und zeigte mit dem Kopf auf Michael, der zerstreut nickte.
Michael fragte sich verwundert, wie Schorer es zuwege gebracht hatte, daß er gestern abend gehorsam im Auto sitzen geblieben war und ihm resiginiert seine Wohnungs schlüssel ausgehändigt hatte. Alles, was Schorer gesagt hatte, war: »Es ist besser, wenn wir nicht bei dir vorbeigehen. Es ist besser, wenn du dich nicht reinsteigerst, damit du nicht in neue Konflikte gerätst und es noch bereust. Ich schlage vor, wir fahren von hier direkt zu mir.« Seine Worte hatten nicht nach einem Vorschlag geklungen. In seiner Stimme lag das Wissen, daß es so und nicht anders gemacht würde.
»Ich werde dir aus der Wohnung holen, was du brauchst. Erst einmal für eine Nacht, und später machst du eine Li ste, und wir lassen deine Sachen bringen.«
Michael war eine Weile in dem staubigen Ford Fiesta sitzen geblieben. Er hatte versucht, das Bild von Nitas verlo renem Gesicht und die Gedanken an die leere Wiege aus sei nem Kopf zu vertreiben. Er trauerte um das Baby und spürte einen Stich im Herzen. »Bitteschön«, hatte Schorer plötzlich gesagt, und das Bild des Babys, das sich vom Rükken auf den Bauch drehte, verschwand, als
Weitere Kostenlose Bücher