Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
nur die Zeit. Wie bei diesem Gemälde und all den Experten, mit denen Balilati sich die Zeit vertrieben hat. Die ganze Unterwelt, die er vernommen hat! Wie viele Tage sind draufgegangen, ohne daß es zu etwas geführt hätte. Und dann hat man es im Küchenschrank hinter dem Kakaopulver gefunden, einfach so. Und das Ganze – selbst das wissen wir nicht definitiv – ist womöglich nur ein Ablenkungsmanöver. Eine Spur, die im Sand verläuft. Schon seit Wochen vertut Balilati seine Zeit mit Experten von hier und Sachverständigen von dort. Gibt es etwas Neues bei dir?«
»Vielleicht«, zögerte Michael. »Aber es ist noch etwas diffus und komplex und auch ziemlich absurd, so daß es besser ist, wenn wir noch nicht darüber sprechen.«
Eli Bachar schwieg ein paar Sekunden erwartungsvoll. Seine Augen folgten Michaels Hand, der den Zigarettenstummel im Rasen ausdrückte, aufstand und zum offenen Mülleimer neben dem Eingang ging.
»Wie du willst«, sagte er schließlich, nicht ohne gekränkt zu sein. »Wann wirst du ihn mit der Kanadierin konfrontieren?
»Später«, sagte Michael. »Jetzt hält er seinen Vortrag, nicht wahr?«
»Ja, noch etwa eine Stunde, dann gibt es Mittagessen. Vielleicht paßt es dann«, hoffte er.
»Vielleicht«, stimmte Michael zu. »Ich gehe rein, bleibst du hier?«
»Ich habe darin nichts verloren«, sagte Eli verzagt, »ich werde hier warten. Ich hatte eine lange Nacht.« Er setzte seine dunkle Sonnenbrille auf. »Weck mich, wenn ich einschlafe«, bat er.
»Gib mir dein Aufnahmegerät, meines ist voll«, sagte Mi chael und steckte das kleine Gerät, das Eli ihm träge reichte, in seine Brusttasche.
Die Tür führte in einen kleinen Saal. Gegenüber der Tür, vor einer Glastür, die zu einer Veranda führte, in einem abgewetzten, tiefen Brokatsessel, saß Nita. Ihr Körper war entspannt, im Sessel versunken, als ob große Mühe nötig wäre, um ihre Glieder wieder aufzurichten. Ihre Augen trafen seine. Er spürte große Erleichterung, als er sie heil vor sich sah. Ein warmes Kribbeln überkam ihn, der starke Drang, sie zu berühren, ihre Stimme zu hören, in ihrer Nähe zu sein. Für einen kurzen Augenblick sahen ihre Augen ihn an, dumpf und ausdruckslos. Wenige Sekunden nur erstrahlte das Blaugrün, dann verengten ihre Augen sich, bis sie beinahe geschlossen waren. Ihr Gesicht war sehr blaß. Sie bewegte sich nicht. Und nicht nur, daß sie nicht lächelte, sie verzog ihre Lippen und drehte den Kopf in Richtung Theo. Etwa fünfzehn junge Musiker und Musikerinnen waren im Saal versammelt und hingen an Theos Lippen, der neben einem kleinen, offenen Flügel auf einem runden Schemel mit übereinandergeschlagenen Beinen vor ihnen saß und sprach. Als Michael die Tür hinter sich schloß und sich auf einen der hinteren Stühle setzte, sah Theo ihn überrascht an, nickte und fuhr im gleichen Tonfall, gelassen und zurückhaltend, fort. Vielleicht färbte ein leichtes Rot seine Wangen. Seine Augen glänzten in einem dunklen Grün, das die dunklen Halbmonde noch betonten. Er faltete die Hände, konnte ihr Zittern jedoch nicht verbergen, und lehnte sich gegen den Flügel. Koffer von Celli und Geigen ruhten zu Füßen einiger der jungen Leute. Juwal saß nicht weit von Nita neben einem jungen dunkelhäutigen Mann, der die Arme verschränkte und mit geradem Rücken dasaß und der, Michael war sich sicher, der neue Kollege von der Mordkommission sein mußte.
»Eine befriedigende Definition aller Aspekte des klassischen Stils«, sagte Theo mit einem kleinen, gezwungenen Lächeln, »ist unmöglich.«
Die Blicke der jungen Musiker hingen mit großer Erwartung an ihm; der junge Mann, der jenseits des Flügels saß, überprüfte das große Aufnahmegerät, das auf dem Boden vor ihm aufgebaut war.
Michael musterte die abgerissene Rolladenschnur neben dem Verandafenster und die Rückstände des Klebebandes aus dem Golfkrieg, die sich nicht entfernen ließen und nun die Scheibe mattierten.
»Denn wie für jede Sache«, sagte Theo nachdenklich mit einem Blick auf die große Glastür, »dies gilt nicht nur für die Musik, muß man letztlich auch Dinge wie Ernährungsgewohnheiten, das Leben von Arm und Reich und die kriegerischen Auseinandersetzungen berücksichtigen. Man kann den klassischen Stil in der Musik – so wie man Rock musik nicht ohne die Welt begreifen kann, in der wir le ben – nicht ohne den genauen Kontext bis in alle Einzelheiten nachvollziehen.«
Michael sah Juwal an, der sich auf dem
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