Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
beschäftigte er sich wieder mit seiner Lupe. Michael kniete neben ihm. Zila drehte das Gesicht weg. »Sie müssen es unter wissenschaftlichem Aspekt betrachten«, sagte der Pathologe, »das hier, ist kein menschliches Wesen mehr, sondern ein Fall, reden Sie es sich ein, bis Sie davon überzeugt sind.« Zila blieb mit abgewandtem Gesicht stehen.
    »Sehen Sie sich diesen Fleck an!« Solomon legte einen Finger auf den Hals der Leiche. »Sehen Sie das hier? Wie ein Biß? Das hängt nicht mit der Sache zusammen, müssen Sie wissen.«
    »Womit dann?« fragte Michael, der den Blick von dem Finger, der auf dem braunen Fleck lag, abwandte.
    »Rufen Sie mal diesen Mann her, wie heißt er noch, diesen Awigdor.«
    Awigdor stand mit entsetztem Gesicht vor Solomon. »Auch er hat so einen Fleck«, sagte der Gerichtsmediziner zufrieden. »Spielen Sie Geige?« Awigdor nickte. »Er ist der erste Geiger«, erklärte Michael. »Das ist es!« sagte Solomon befriedigt. »Es ist eine Entzündung, die bei vielen Geigern und Bratschisten auftritt. Das Plastikteil – ich glaube, es ist aus Plastik, man muß es überprüfen –, dieses Plastikteil der Geige verursacht den Fleck unter dem Kinn. Sicherlich hat der Herr ihn davon. Spielte er Geige?« fragte er und deutete auf die Leiche. Michael nickte. »Ich bin sicher, daß wir unter dem Bart noch einen weiteren Fleck finden werden«, sagte der Pathologe und berührte den Bart, wie um ihn beiseite zu schieben. Anschließend bückte er sich mit der Lupe über den Fleck und begutachtete ihn ein paar Mi nuten lang. Langsam wanderte das Glas vom Kinn zum Hals.
    »Sehen Sie«, sagte Solomon und reichte Michael die Lupe. »Sehen Sie, daß das ein Rundschnitt um die Hälfte des Halsumfangs ist? Sehen Sie, daß es keinen großen Unterschied zwischen der rechten und der linken Seite gibt?« In den Sekunden, in denen seine Augen ungeschützt über die Lupe blickten, sah Michael die Augen Gabriel van Geldens, die noch immer aufgerissen waren. Der Ausdruck des Grauens, der in ihnen gefroren war, und die Erinnerung an sein schüchternes Lächeln ließen Michael erstarren. Er sah zwar durch die Lupe, doch er konnte nichts wirklich beobachten oder einen klaren Gedanken formulieren, darum murmelte er nur etwas Undeutliches und gab dem Pathologen die Lupe zurück, der zufrieden hinzufügte: »Das zeigt uns einiges. Erstens, es war kein Schnitt, der mit einem Messer ausgeführt wurde.«
    »Nicht mit einem Messer?« vergewisserte sich Michael. Wenn er die Leiche vom Hals abwärts betrachtete, ohne das Gesicht anzusehen, ging es einigermaßen.
    »Auf gar keinen Fall. Ein Messer trennt nicht auf solch saubere Weise. Mit einem Messer hätten wir auch nicht solch einen rundlichen Schnitt. Aber ich kann Ihnen noch etwas dazu sagen, und das ist der zweite Punkt: Es gibt keine zaghafte Verletzung. Zumindest keine, die ich mit dem bloßen Auge erkennen kann.«
    »Was verstehen Sie unter einer zaghaften Verletzung?« fragte Zila schwach.
    »Das heißt, daß es sich nicht um einen Suizid handelt«, sagte Michael.
    »Sehen Sie sich mal diese Stelle an«, sagte der Pathologe, ohne zu bemerken, daß Zila darauf bedacht war, zur Seite zu schauen, und fuhr fort: »Sehen Sie, es gibt keine kleinen Verletzungen auf der Haut, die darauf hinweisen würden, daß man schon vorher versuchte, die Tiefe des Schnittes abzuschätzen. Wenn jemand sich das Leben nimmt, testet er erst, wie er vorgehen muß. Er läßt das Messer oder den Strick oder was auch immer über seinen Hals gleiten, und schon haben wir kleine Verletzungen neben der großen Wunde. Hier haben wir nichts dergleichen. Es gibt keine zaghaften Verletzungen, nur einen einzigen, glatten Schnitt«, bestimmte er und leuchtete mit der Taschenlampe, die er dem Arztkoffer entnommen hatte, den Hals aus. Er summte.
    »Und was war es dann?« wollte Michael wissen.
    »Irgendein dünner Draht. Oder vielleicht auch eine Nylonschnur. Irgend etwas wie, sagen wir, eine Angelschnur. Wenn sie dünn genug ist, kann sie den Kopf zwischen zwei Wirbeln trennen.«
    »Ein Draht?!«
    »Wenn er scharf genug ist. Wenn man viel Kraft aufwendet. Wenn man ihn von hinten um den Hals schlingt, neh men wir einmal an, und ihn dann um die Hand wickelt, oder so etwas, wenn es also von hinten Widerstand gibt, kann er genau zwischen zwei Wirbeln durchgleiten und den Kopf abtrennen. Prinzipiell hätte der Tod auch durch die Unterbrechung des Blutflusses zum Hirn eintreten können. Bei einem plötzlichen

Weitere Kostenlose Bücher