Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
ihre Augen vor sich. Ein Zittern durchlief ihn.
Aus dem Kiosk traten die zwei Sanitäter mit der Bahre, auf der das Mädchen mit Gurten angeschnallt lag, und die Tür fiel krachend ins Schloss hinter ihnen.
»Sie steigen in den Krankenwagen und fahren mit«, befahl Michael Einat, »Sie werden die ganze Zeit am Ball bleiben. In dem Moment, in dem es einen ärztlichen Befund gibt, melden Sie uns das, und auch die Sekunde, in der sie das Bewusstsein wiedererlangt.«
»Wollen Sie nicht lieber, dass ich mit ihr mitfahre?«, fragte Ja’ir besorgt. _
»Sie bleiben jetzt hier«, bestimmte Michael. »Bis sie aufwacht, haben wir noch einiges an Arbeit vor uns.«
»Falls überhaupt«, bemerkte Balilati skeptisch, »es ist überhaupt nicht sicher, dass sie so schnell wieder aufwacht. Und auch wenn sie wieder zu Bewusstsein kommt, meint ihr, sie wird reden? Wie oft hab ich gesehen, dass sie sich an nichts erinnern, wegen dem Schock. Darauf kann man garantiert nicht bauen.«
»Ich will auch einen vollständigen medizinischen Bericht«, sagte Michael zu Einat, »wenn sie ihn im Krankenhaus vorliegen haben, sollen sie Ihnen eine Kopie geben und ihn per Fax an uns schicken, damit wir in dem Moment, in dem sie aufwacht ...« Er hielt mitten im Satz inne, da der Arzt neben ihm stehen blieb und den beiden Sanitätern nachblickte, die die Bahre in den Krankenwagen schoben, zwischen all den Menschen, die sich dort zusammengerottet hatten und ihnen nun Platz machten. »Also«, sagte der Arzt zu Michael, »sowohl Brüche im Schädel als auch innere Blutungen, wir wissen nicht, wie viele innere Verletzungen vorliegen. Und sie ist auch ausgetrocknet, ich habe ihr eine Infusion gegeben.«
»Sie ist immer noch nicht bei Bewusstsein?«, vergewisserte sich Michael.
»Sie wird noch einige Zeit bewusstlos bleiben«, erwiderte der Arzt, »das geht nicht so schnell. Es kann noch Tage dauern. Und ich weiß nicht, was mit ihrer Wirbelsäule ist, wir mussten sie auf der Bahre festbinden, mit einer Latte unterm Rücken, das war vielleicht was, sie zu bewegen.«
Jigal Chajun stützte seine Mutter, die schwerfällig hinter der Tragbahre den Krankenwagen bestieg. »Ich komm gleich mit dem Auto nach, ich hole es nur schnell«, rief er ihr zu, und Michael sah, wie sich Peter ihm zögernd näherte. Seine hohe, leicht gebeugte Gestalt wirkte traurig und verzweifelt.
Auch Balilati schaute ihnen nach, doch zu Michaels Erleichterung sagte er nichts, sondern nickte nur bedeutsam, wie eine Art Vorwurf, mit den Kopf in ihre Richtung. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Strommast, verschränkte die Arme und gähnte ausgiebig. »Ich bin fix und fertig«, verkündete er allen Umstehenden. »Wenn ich mich jetzt nicht ein oder zwei Stunden aufs Ohr hauen kann – dann braucht ihr für mich auch eine Bahre. Ich geh heim, es rennt uns nichts davon. Jetzt läuft nichts weiter Großartiges, oder?«
» Ruh dich aus, wirklich«, sagte Michael, »und wir werden etwas essen.«
»Wo wollt ihr denn was essen?«, erwachte der Nachrichten offizier sofort wieder zu neuem Leben, »du gehst jetzt nicht in die Altstadt bei dem ganzen Aufruhr, nicht mal nach Abu Gosch kannst du jetzt rein, wo willst du essen? Hast du was zu Hause?«
»Gib mir mal kurz dein Telefon«, bat Michael, und Balilati reichte ihm sein Handy mit provozierendem Blick.
»Wie geht das?«, fragte Michael und betrachtete das Ding.
»Sag mir die Nummer, und ich wähle«, sagte Balilati mit einem gemeinen Funkeln in den Augen.
»Nicht nötig«, wehrte Michael ab, wobei es ihm nicht gelang, seine Verlegenheit zu verbergen, »sag mir bloß, ob man die Vorwahl auch dazunehmen muss.«
»Wenn es in Jerusalem ist«, meinte Balilati hinterhältig, »ist es in Jerusalem? Denn wenn es zu einem anderen Handy geht, braucht man die Vorwahl vielleicht nicht ... wer hat eigentlich schon mal von einem Leiter der Ermittlungsabteilung gehört, der kein Handy hat? Das ist garantiert gegen das Gesetz, und wenn es nicht ungesetzlich ist, dann muss man ein solches Gesetz machen. Ein Mensch im einundzwanzigsten Jahrhundert, der ein Handy nicht benützen kann! Und glaubt, dass das auch noch irgendeinen Charme hätte, das macht mich echt fertig«, knurrte Balilati, während Michael wählte. »Und jetzt drück auf ›send‹«, rief Balilati, »send-send, auf den grünen Knopf drücken!«
Michael, der etwas zur Seite getreten war und den anderen den Rücken zugedreht hatte, flüsterte in das Gerät, und in seinem Nacken
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