Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
nicht, woher sie das hatte, so war sie seit ... seit ihrer BarMizwa ungefähr, es fing mit einer Schularbeit über die eigenen Wurzeln an, und danach ...« Sie ließ ihre Hände sinken und rang sie, »die ganze Zeit beschäftigte sie sich mit dem jemenitischen Erbe.«
»Aber sie ist mit jungen Männern ausgegangen«, sagte Michael.
»Ist sie ... ins Kino, ins Cafe ... aber es gab keinen ... niemand so Richtigen ...«
»Aber es sind Jungen nach Hause gekommen? Sie haben sie doch kennen gelernt, oder?«
»Manchmal ist einer gekommen, um sie hier abzuholen, aber sie sind nicht dageblieben ... sie hat sie lieber draußen getrof fen ...« Verlegenheit lag in Ne’ima Bascharis Stimme, »sie hatte ... sie liebte ihre Privatsphäre«, und plötzlich unterdrückte sie wieder ein Schluchzen.
»Also kannten Sie niemanden?«, fragte Michael und hörte selbst den erstaunten Ton in seiner Stimme.
»Vielleicht ihre Brüder ... Natanael ... ihm stand sie nahe. Uns wollte sie nichts ... sie redete nicht ... vielleicht hat sie mit Linda geredet, Ezra, hat sie mit Linda geredet?« Sie wandte sich an ihren Mann, der in seinem Schweigen verharrte. »Sie waren sich irgendwie nah, die zwei«, sagte Ne’ima Baschari in abwesendem Ton.
»Linda?«, wiederholte Michael.
»Linda, sie wohnt hier, im Viertel –«, mit schlaffer Hand deutete Ne’ima Baschari die Straße hinauf, »eine gute Frau, Halbjüdin, nur von der Mutterseite, aber wirklich gut. Manchmal sind auch Freundinnen gekommen, zum Essen, und da war auch dieser Junge, der mit ihr beim Militär war, Dani? Heißt er Dani?« Sie blickte ihren Mann an, der seinen Kopf nicht hob.
»Hatte sie einen Notizkalender?«
»Ich weiß nicht«, sagte Ne’ima Baschari, »nur dieses kleine Ding, das sie in der Handtasche hatte, mit den ganzen Terminen und Telefonnummern, und ihre Tasche ... Sie haben gesagt, sie hätten sie nicht gefunden.«
»Wir werden sie schon noch finden«, erwiderte Michael und nahm einen tiefen Atemzug. »Und da ist noch etwas, das ich Ihnen sagen muss« – er betrachtete Ezra Bascharis gesenkten Kopf –, »Ihre Tochter, Zohra, sie ...« – er geriet ins Stocken und richtet seinen Blick wieder auf Ne’ima Baschari, die ihre Brille abnahm und ihn anstarrte –, »sie war in der zwölften Woche schwanger.«
Durchs offene Fenster zerriss das an- und abschwellende Alarmgeheul eines auf der Straße parkenden Autos die Totenstille, die sich über den Raum gesenkt hatte.
Da hob Ezra Baschari seinen Kopf. »Das ist eine Lüge«, flüsterte er heiser, »Sie lügen.«
Michael spürte, wie sich seine Nacken- und Schultermuskeln zusammenzogen. »Nein, es tut mir wirklich Leid, aber das ist die Wahrheit. Der Arzt im pathologischen Institut kann es Ihnen bestätigen.«
Die kleinen, vollen Lippen Ezra Bascharis zuckten. »Das kann nicht sein«, sagte er mit zitternder Stimme, »unsere Tochter ... sie hat sich aufbewahrt ... sie hat mir selber gesagt, dass ...«
Ne’ima Baschari wiegte sich vor und zurück, zurück und vor. Sie hatte die Augen fest geschlossen, als wollte sie die erneuten Tränen eindämmen, die ihr aus den Augenwinkeln tropften.
»Ich dachte, Sie könnten uns helfen in der Sache ...«
Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs blickte Ezra Baschari seine Frau an. »Das sind Dinge, die eine Mutter weiß«, sagte er zu Michael.
»Sie weiß es, wenn man es ihr erzählt«, sagte Ne’ima Baschari zornig, »wenn man es ihr nicht erzählt, weiß sie gar nichts.«
»Es gibt Dinge, die eine Mutter weiß, auch ohne dass man es ihr erzählt«, sagte Ezra Baschari, »meine Mutter seligen Anden kens hat immer über alle Angelegenheiten meiner Schwester Car mela Bescheid gewusst.«
»Und, hat das Carmelas Leben besser gemacht?«, fragte Ne’ima Baschari kalt und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. Ein harter Zug bildete sich um ihre Lippen.
Ein Unglücksfall muss nicht zwingend die Liebe von Ehepartnern offenbaren, nicht alle drängen sich danach, sich aufeinander zu stützen; es gibt Paare, bei denen gerade ein solches Unglück den bitteren Bodensatz zwischen ihnen und alle verschwiegenen, unbeglichenen Rechnungen an den Tag bringt. Diese Rechnungen müssten geklärt werden, sagte sich Michael im Stillen, während eine andere Stimme in ihm über seinen Glauben daran, dass solche Dinge geklärt werden könnten, spottete.
»Wir müssen genau wissen, was an dem letzten Tag passiert ist ... beim letzten Mal, als Sie sie gesehen haben ...
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