Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Panik und zerrte am Saum seiner Krawatte.
»Sie wissen es, Sie hat es Ihnen doch sicher erzählt«, fuhr Michael fort.
»Was erzählt? Was soll sie erzählt haben?«
»Sie hat Ihnen von ihrem Leben erzählt.«
»Nicht genau, so kann man das nicht sagen«, Rosenstein krümmte sich und verflocht seine Finger ineinander, »hie und da, ich weiß, dass sie Gesang in New York studieren wollte, ich weiß von ihrem Interesse an der Vergangenheit der jemenitischen Juden, sie wollte, dass ich für ein kleines Museum spende ... in der Synagoge ... ich sagte, ich würde darüber nachdenken ... aber ... aber keine persönlichen Dinge. Nie.«
»Was sind in Ihren Augen persönliche Dinge?«
»Also wirklich!«, sagte der Rechtsanwalt scharf, »stellen Sie sich nicht dumm, Sie scheinen mir ein intelligenter Mensch zu sein, Sie verstehen ganz genau, was ›persönliche Dinge‹ sind.«
»Was für den einen persönlich ist, ist es für den anderen noch lange nicht.«
»Also nun wirklich!«, sagte Rosenstein, und seine Lider gerieten wieder ein paarmal in hektisches Flattern, »persönliche Angelegenheiten sind Beziehungen mit Menschen, mit Männern, solche Dinge, nicht mit den Eltern. Ich weiß nur, dass sie darum bat, ihre Eltern nicht in den Wohnungskauf zu involvieren, da ihr Vater ein Mann von Ehre sei und nie einwilligen würde, dass ein fremder Mensch, das heißt, nicht von der Familie, ihr etwas gäbe. Nu, dass er dann eben das denken würde, was Sie denken.«
»Aber es ist doch sicher jemand zu ihr in die Arbeit gekommen oder hat einfach bloß angerufen. Wenn ein Mensch zwei volle Jahre lang an irgendeiner Stelle arbeitet, muss man etwas über ihn wissen.«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen«, Rosenstein starrte einen Augenblick auf einen unbestimmten Punkt, »sehen Sie, ich bin immer ... wenn ich im Büro bin, dann zum Arbeiten, und nicht zu allen möglichen Unterhaltungen. Da ist keine Zeit für so etwas, alle Augenblicke kommen Leute herein, Termine, Anrufe, ich habe keine Zeit für ...«
»Aber mit ihr über Zukunft und Wohnungskauf reden, das konnten Sie schon.«
»Manchmal, wenn ich sie nach Hause fuhr oder wenn ein besonderer Termin anstand, etwas Brandeiliges, das sofort getippt werden musste. Aber ich konnte nie ...«
»Es ist nie ein junger Mann ins Büro gekommen, um sie abzuholen?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Gibt es noch eine Sekretärin im Büro?«
»Zwei, es gibt noch zwei, und es gibt auch meinen Partner und zwei Anwärter, es ist eine nicht gerade kleine Kanzlei mit einer Menge Betrieb. Sie können mit ihnen sprechen, ich bin sicher, dass, wenn überhaupt, sie über solche Dinge besser Bescheid wis sen als ich.«
»Dann wussten Sie also nichts von der Schwangerschaft?«
»Schwangerschaft?!« Der Rechtsanwalt nahm bestürzt seine Brille ab und polierte mit dem karierten Stofftaschentuch fah rig die Gläser, die sich beschlagen hatten. »Niemals ... sie hat mir kein Wort davon gesagt. Überhaupt nicht. Kein einziges Wort.«
»Zwölfte Woche. Bei der Obduktion hat man einen Embryo von zwölf Wochen gefunden.«
»O Gott«, stöhnte Rosenstein und griff nach der Zaunmauer, die die beiden Höfe des Zweifamilienhauses voneinander trennte, »ich hatte nicht einmal die leiseste Ahnung.«
»Dann können wir also über den Vaterschaftstest sprechen?« fragte Michael gelassen. »Wären Sie bereit?«
»Schauen Sie, ich bin Rechtsanwalt«, antwortete Rosenstein, »nicht irgendein Kerl von der Straße, der macht, was man ihm gerade sagt, das verstehen Sie sicher selbst. Sie haben doch nicht wirklich gedacht, dass ich in eine solche Sache, in dem Moment, in dem Sie fragen, einwillige.«
»Nein«, gab Michael zu, »ich hatte mir vorgestellt, dass Sie Zeit brauchen, um darüber nachzudenken, und sich vielleicht auch mit Ihrem Kollega beraten, ob es opportun wäre.«
»Weshalb muss ich überhaupt dem ausgesetzt werden, wenn ich Ihnen sage, dass ich am Montag, an dem sie, wie Sie sagen ...« er schluckte trocken, »ermordet wurde, warum muss ich überhaupt ein Verdächtiger sein, wenn ich Ihnen sage, dass ich den ganzen Tag bei Terminen in Tel Aviv war und am Abend mit mei ner Frau in der Oper? Es ist alles überprüfbar, man gab Puccinis ›Turandot‹, meine Frau liebt Puccini. Ich nicht. Man hat uns gesehen in der Oper. Wir haben ein Abonnement. Glauben Sie mir, da ist kein fauler Trick dabei.«
»An diesem Tag, als Sie nicht im Büro waren, wissen Sie, ob sie in der Arbeit war?«
»Aber sicher«,
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