October Daye: Nachtmahr (German Edition)
kreischten wild. Katzen kämpfen nicht leise. Die zwei überschlugen sich unter der Wucht ihrer Angriffe und rollten von mir weg. Ich kam torkelnd auf die Beine, schnappte mir den nächstbesten harten Gegenstand, den ich zu fassen bekam – eine Latte, die ich kaum heben konnte – , und humpelte vorwärts, wobei ich mir Mühe gab, mein rechtes Bein nicht zu belasten.
Eine Hand auf meiner Schulter bremste mich. Ich blickte mich finster um.
Hinter mir stand der Mann, der Raj begrüßt hatte, die Abessinierkatze noch immer auf der Schulter. »Ihr dürft Euch nicht einmischen«, sagte er. Seine Augen hatten dasselbe leuchtende Glasgrün wie die von Raj.
Ich starrte ihn an. »Sie wollte mich umbringen !«
»Sie hat es nicht geschafft.« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt kämpft mein Sohn und muss den Sieg allein erringen.«
»Das ist doch Schwachsinn.« Die Regeln der Cait Sidhe grenzen manchmal regelrecht ans Selbstmörderische. Raj war noch ein Kind. Julie hatte ihm mindestens dreißig Jahre Kampferfahrung voraus, und einen Großteil davon hatte sie als Straßenkämpferin in Devins Diensten erworben. Dort war Fairness etwas, was nur andere betraf. Dagegen hatte Raj nicht die leiseste Chance. »Er wird draufgehen.«
»Wenn er sie nicht bezwingen kann, kann er auch den Thron nicht halten, solange sie lebt.« Er verstärkte den Griff um meine Schulter und hielt mich gewaltsam zurück. Julie schmetterte Raj gegen die Mauer. »Ihr Blut ist nicht rein. Sie selbst kann keine Königin werden, ob an diesem Hof oder anderswo. Doch sie kann immer noch verhindern, dass er König wird.«
»Und wenn sie ihn tötet, was dann?« Raj schlängelte sich frei, griff erneut an, traf Julie in den Bauch. Sie wog mindestens fünfzig Pfund mehr als er, aber die Schwerkraft war auf seiner Seite. Fauchend ging sie zu Boden.
Der Mann, der Rajs Vater sein musste, wiegte den Kopf. »Wenn sie ihn töten kann, dann war er nie geeignet für den Thron.«
»Und Ihr meint, das spielt gerade jetzt eine Rolle?« Ich wand mich aus seinem Griff und rannte auf die Kämpfenden zu. Doch ich erreichte sie nicht, denn mein rechtes Knie ließ mich im Stich. Sowie ich es belastete, verlor ich das Gleichgewicht und stürzte. Ich ließ die Latte fallen und streckte die Arme aus, um mich abzufangen.
Doch ich schlug nicht auf. Mitten im freien Fall schloss sich Tybalts Hand um meinen Hosenbund, packte zu und drehte mich um, während er mich auf Augenhöhe hievte. Als unsere Blicke sich trafen, blinzelte er befremdet. Ich blinzelte zurück. Dann schüttelte er leicht den Kopf, und seine Miene verschloss sich zu der gewohnten katzenhaften Coolness.
»Meine Güte, Toby, wie hast du dich verändert.«
»Tja, na ja.« Ich versuchte mit den Achseln zu zucken, aber ich konnte nur hilflos in der Luft baumeln. »Lass mich runter.«
»Ich … ja, natürlich.« Er schien wahrhaftig eine Spur zu erröten. Rasch stellte er mich aufrecht und setzte mich sanft ab. »Verzeih.« Mit einem kurzen Seitenblick auf den kreischenden Wirbel, der aus Raj und Julie bestand, fügte er hinzu: »Wie ich sehe, hast du es geschafft, mir meine geraubten Untertanen zurückzubringen.«
»Ja. Erinnere mich bitte nachher daran, dich umzubringen.«
»Natürlich.« Er ließ ein Lächeln aufblitzen. »Entschuldige mich kurz, ja?«
»Klar.« Ich lehnte mich an die Mauer und versuchte den Schmerz in meinem Knie und den finsteren Blick von Rajs Vater zu ignorieren.
Tybalt glitt auf Raj und Julie zu, wie ein Hai durchs Wasser gleitet. Ich konnte nicht umhin, Julie zu bedauern. Wir waren lange Zeit Freundinnen gewesen, ehe die fehlgehende Kugel eines Mörders ihren Liebsten tötete und sie schwor, an mir Rache zu nehmen, weil ich ihn in die Schusslinie gebracht hatte. Ich sehe sie ungern leiden. Trotzdem schaute ich nicht weg, als er zugriff, sie an beiden Handgelenken packte und in die Luft hob. Julie trat um sich und schrie, aber sie konnte sich nicht befreien. Raj kauerte am Boden und knurrte wütend, aber er hielt sich zurück. Kluger Junge.
»Wir greifen unsere Gäste nicht an«, sagte Tybalt ruhig, hielt Julie eine Armlänge von sich weg und schüttelte sie kräftig. Sie schnappte nach ihm, grub um ein Haar ihre Zähne in seinen Arm.
Schlechter Zug. Tybalt schüttelte sie erneut, diesmal heftiger, und brüllte. Alle Katzen ringsum begannen prompt zu heulen, und die Cait Sidhe in Menschengestalt fielen ein, bis ihre Stimmen sich mit seiner vermischten. Ich äugte zu Rajs Vater. Er jaulte
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