Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
Himmel erinnerte mich die Dame sogar an die Marien und Magdalenen auf den Altarbildern. Bewegungslos und majestätisch, in einem fließenden Gewand, saß sie dort und blickte herab, mit einer göttlichen, erhabenen Ruhe.
Als ich jetzt vor dem Tor hielt, nur noch ein kurzes Stück vom Turm entfernt, erlosch dieser Eindruck allerdings schnell. Es ernüchterte mich auch, als ich bemerkte, wie Odo mit lüsterner Miene hinaufsah und vor freudiger Überraschung die Sprache verlor. So etwas passiert ihm nicht vor Madonnenbildern. Ich dachte dann auch gleich wieder an die bösen Worte des Drog, der immer noch an meiner Seite war und nun ebenfalls nach dem Turmfenster starrte, wobei sein winziger Kopf fast nur aus den glotzenden Augen und der hängenden Lippe zu bestehen schien. Er hatte die Frau eine schwarze Spinne genannt und sie eines nicht eben frommen Wandels bezichtigt. Und wahrhaftig, als ich jetzt näher hinsah, bemerkte ich, daß die Züge der edlen Dame zwar hübsch, aber derb waren, daß ihre schwarze Mähne in wilder Unordnung, ihr Körper fett, ihre Haltung träge war und daß die grasgrüne Tunika, die sie der Hitze wegen wohl als einziges Kleidungsstück trug, über den aufgestützten Arm herabgerutscht war und unziemlich viel von dem weißen Fleisch ihrer Schulter bloßlegte. Da war das liebliche Bild verflogen, und es kam mir die Mahnung des Sirach aus der Heiligen Schrift in den Sinn: „Wende dein Angesicht von schönen Frauen und gaffe nicht nach der Gestalt der Weiber, denn böse Lust entbrennt davon wie ein Feuer.“ O hätte ich mich dieser Stelle auch später erinnert!
Herr Rocco schlug also Lärm, und nun gab es auch hinter dem Tor Bewegung. Wir hörten Hundegebell und Stimmen, und zwischen den Zinnen der Türpfosten tauchten mehrere Köpfe auf. Dann wurde ein Fenster im Tor entriegelt, ein Wächter warf einen strengen Blick auf Menschen und Vieh und erklärte barsch, er habe Befehl, niemand einzulassen. Der Herr sei in der Kapelle und bete, und er werde sehr zornig, wenn man ihn störe. Sobald er das Gotteshaus verlasse, wolle man ihm aber Meldung machen.
„Höre, Freund, es wird besser sein, wenn du ihm gleich –“ rief Herr Rocco. Doch schon war das Fenster zugeknallt und wieder verriegelt.
„Was habe ich gesagt!“ grollte der Dicke. „Er betet! Der Pfaffe hat ihn in die Kapelle gelockt und hält ihn dort fest. Wer weiß, was dieser Verfluchte alles getan hat, um Ebrachars Sinne zu verwirren! Er hat ihm vielleicht etwas in den Wein gemischt, das vergeßlich macht. Wie könnte Ebrachar sonst nicht mehr wissen, daß er uns eingeladen hat. Seinen alten Nachbarn und Bankgenossen und seinen künftigen Schwiegersohn! Da oben lauert die Prisca, Gundobads Witwe“, erklärte er uns. „Die kommt zwar fast nie von dem Turm herunter, aber sie sieht alles, hört alles, weiß alles. Vielleicht erfahren wir etwas von ihr.“ Er formte seine Hände zum Trichter und brüllte: „Heil, edle Frau! Wünsche Glück und Gesundheit! Da sind wir, ich selber und mein Sohn Bobo, mit den Brautgaben für Eure junge Verwandte! Aber man will uns nicht hineinlassen!“
„Was wollt Ihr denn heute schon, Onkelchen?“ rief die Dame zurück, ohne sich zu bewegen, mit einer rauhen, doch nicht unangenehmen Stimme.
„Was heißt das: ‚heute schon‘?“ schrie Rocco entrüstet. „Sind wir denn nicht für heute zu Gast gebeten?“
„Nicht für heute, sondern für übermorgen!“
„Was sagt Ihr da?“
„Könnt Ihr nicht zählen, Onkelchen? Ist heute vielleicht der siebte Idus?“
„Was denn für'n siebter Idus?“
„Der Tag, an dem man Euch hier erwartet!“
Herr Rocco machte ein dummes Gesicht und schob den Unterkiefer mit den Hauern vor. Sein Sohn Bobo tat es ihm gleich. Beide wandten die Köpfe zur selben Zeit und sahen sich grimmig nach dem Drog um. Der ließ noch immer kein Auge von der Dame am Turmfenster, und indem er die kurze Sprachlosigkeit seines Gefolgsherrn und Schwagers nutzte, krähte er:
„Heil, edle Herrin, unvergleichliche, flammende Sonne! O Zauberin, wunderhold, sammetäugig und schneebusig! O Göttin des luftigen Wolkenheims …“
Weiter kam er nicht. Herr Rocco war an ihn herangeritten und versetzte ihm einen Faustschlag, der ihn vom Rücken des Esels in den Staub warf. Drog kreischte auf wie ein Schwein beim Anblick des Messers. Ringsum brach alles in rohes Gelächter aus.
Die Dame Prisca auf ihrem Turm lachte ebenfalls, wobei sie sich schüttelte und ans Herz griff.
„Hat
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