Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
Anwesen des Herrn Ebrachar hatte bereits vor langer Zeit, als Gallien noch römische Provinz war, hohen Beamten und Heerführern als Landsitz gedient. Nach der Eroberung durch die Franken vor etwa dreihundert Jahren war es in die Hände der Königsfamilie der Merowinger gekommen, die neben und auf den kunstvollen Steinbauten römischer Architektur ihre barbarischen Gebilde aus Balken und Brettern errichtete. Einige ihrer wüsten Könige und Prinzen, Verschwörer und Prätendenten, Königsmörder und Giftmischerinnen hatten hier gehaust, und natürlich war der Sitz viele Male belagert, erobert, zertrümmert, in Brand gesteckt und wieder aufgebaut worden. Was man jetzt sah, war das Ergebnis dieser zahlreichen Metamorphosen.
Vom Tor aus folgten wir einem langen, geraden, zum Teil sogar gepflasterten Weg zum Herrenhaus. Es bestand aus einem Unterbau von Stein, der noch aus der Römerzeit stammte, und einem darüber gestülpten, mächtigen hölzernen Saalbau, von dem aus ein Wehrgang zu dem Turm der Frau Prisca führte, einem früheren Wachturm. Der Gang war nicht mehr benutzbar, denn ein gewaltiges Loch mit Brandrändern klaffte in seiner Mitte. Nachdem uns Knechte unsere Reittiere abgenommen hatten, führte Herr Ebrachar uns durch das alte römische Atrium unter dem Saalbau hindurch, das jetzt als Keller und Vorratsraum diente. Sogar das Wasserbecken befand sich noch in der Mitte der früheren Eingangshalle, als Kühlgrube für Weine und Moste. Wir traten dann in einen von Gebäuden umgebenen Hof und Garten hinaus, und auch hier wurde ich gleich an die Römer erinnert. Halb- und viertelhohe Säulen standen noch da, in einigen Fällen nur die Basen. Sie hatten einmal zur Kolonnade eines Peristyls {11} gehört, das im Laufe der Zeit zu einem weiträumigen Garten erweitert wurde. Zwischen Bäumen und Büschen plätscherten Springbrunnen. Es gab sogar einen Wasserspeier mit Löwenkopf, und hier und da sah ich im Vorbeigehen zwischen Blättern und Gräsern einen in Marmor gehauenen Kopf oder Fuß schimmern. Es hat mir schon immer Spaß gemacht, mich mit Gegenständen zu befassen, die von den Augen längst dahingegangener Menschen betrachtet, von ihren Händen berührt wurden. Solche Gegenstände übermitteln Botschaften, die ich vielleicht nicht richtig verstehe und deute, die aber immer wieder meine Neugier reizen. Gleich nahm ich mir vor, die letzten Strahlen des Abendlichtes zu nutzen und vor dem Gebet und dem Nachtmahl noch ein wenig durch den Garten zu streifen.
Zunächst aber war das Quartier zu beziehen. Ein paar kleine Gebäude seitlich des Hofs waren Schlafhäuser, teils aus Stein, teils aus Holz errichtet. In einem von ihnen nächtigte der Hausherr selbst, in den anderen wurden die vornehmen Gäste untergebracht. Auch unsere Begleitung kam hier unter, während die Knechte des Rocco außerhalb des herrschaftlichen Wohnbereichs auf Gesindeschlafhäuser, Ställe und Scheunen verteilt wurden.
Wir schoben den schmutzigen Vorhang der uns bezeichneten casa beiseite und betraten ein ziemlich enges Gemach. Drei wacklige, mit abgewetzten Schaffellen bedeckte Liegen standen darin, die an römische Speisesofas erinnerten. Odo und ich nahmen zwei in Besitz, die dritte war für Rocco bestimmt. Bobo und Drog mußten sich mit einer Matratze begnügen. Unser Trupp richtete sich im Nebenhaus ein.
Odo hängte sein kostbares Sattelzeug an einen Nagel und verschwand gleich wieder mit Herrn Ebrachar. Natürlich hatten sie sich viel mitzuteilen, und obwohl mich der Hausherr zu einem Willkommenstrunk einlud, schützte ich meine religiöse Pflicht vor, um beim Austausch von Familiengeschichten (vielleicht auch -geheimnissen) nicht zu stören. Herr Rocco, der sich hier auskannte, war gar nicht erst mitgekommen, sondern kümmerte sich um die Unterbringung des Viehs und die Bewachung der Geschenke. Bobo hielt draußen seine blutverschmierte Nase unter den löwenköpfigen Wasserspeier. Eine kurze Zeit war ich mit Drog allein.
Ich warf meinen Ledersack in eine Ecke, streifte die Sandalen ab und streckte mich auf der Liege aus, um einen Augenblick zu verschnaufen. Drog hockte auf seiner Matratze. Ihm war befohlen worden, den Mantel des Bobo zu flicken, und so hantierte er unbeholfen mit Nadel und Faden. Ich bemerkte, daß er dabei immer wieder ruckartig seinen Vogelkopf hob und zu mir herüberblickte. Doch wagte er nicht, mich anzusprechen, solange ich die Augen halb geschlossen hielt. Ich war jetzt nicht mehr nur ein Mönch und
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