Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Herde zu bringen.
Seht, dann opfern wir erst dem bogenberühmten Apollon
Und versuchen den Bogen und endigen hurtig den Wettkampf.
Also sprach er, und allen gefiel Antinoos’ Rede.
Herolde gossen ihnen das Wasser über die Hände,
Jünglinge füllten die Kelche bis oben mit dem Getränke
Und verteilten von neuem, sich rechtshin wendend, die Becher.
Als sie des Trankes geopfert und nach Verlangen getrunken,
Sprach zu ihnen mit List der erfindungsreiche Odysseus:
Hört mich an, ihr Freier der weitgepriesenen Fürstin,
Daß ich rede, wie mir das Herz im Busen gebietet!
Doch vor allen fleh ich Eurymachos und den erhabnen
Helden Antinoos an, der jetzt so weise geredet.
Legt den Bogen nun hin und befehlt die Sache den Göttern;
Morgen wird Gott, wem er will, die Kraft des Sieges verleihen.
Aber wohlan! Gebt mir den geglätteten Bogen, damit ich
Meiner Hände Gewalt vor euch versuche, ob jetzt noch
Kraft in den Nerven ist, wie sie ehmals die Glieder belebte,
Oder ob sie das Wandern und langes Elend vertilgt hat.
Also sprach er, und rings entbrannten von Zorne die Freier,
Fürchtend, es möcht ihm gelingen, den glatten Bogen zu spannen.
Aber Antinoos schalt und sprach die geflügelten Worte:
Ha, du elender Fremdling, es fehlt dir ganz an Verstande!
Bist du nicht froh, daß du in unserer stolzen Versammlung
Ruhig schmausest? Daß dir dein Teil von allem gereicht wird,
Und daß du die Gespräch’ und Reden der Männer behorchest,
Die kein anderer Fremdling und lumpichter Bettler behorchet?
Wahrlich, der süße Wein betört dich, welcher auch andern
Schadet, wenn man ihn gierig verschlingt, nicht mäßig genießet:
Selbst der berühmte Kentaur Eurytion tobte vor Unsinn,
Von dem Weine berauscht, in des edlen Peirithoos Hause.
Denn er kam auf das Fest der Lapithen; aber vom Weine
Rasend, begann er im Hause Peirithoos’ schändliche Greuel.
Zürnend sprangen die Helden empor, und über den Vorsaal
Schleppten sie ihn hinaus und schnitten mit grausamem Erze
Nas und Ohren ihm ab; und so in voller Betäubung
Wankte der Trunkenbold heim und trug die Strafe des Unsinns.
Hierauf folgte der blutige Krieg der Kentauren und Männer;
Aber vor allen traf das Verderben den Säufer des Weines.
Also verkünd ich auch dir dein Unglück, wenn du den Bogen
Spannest. Du sollst nicht mehr Almosen in unserem Volke
Sammeln; wir senden dich gleich im schwarzen Schiffe zum König
Echetos in Epeiros, dem Schrecken des Menschengeschlechtes,
Dem du gewiß nicht lebend entrinnst! Drum sitze geruhig,
Trink und begehre nicht mit jüngeren Männern den Wettkampf!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
O Antinoos, denke, wie unanständig, wie unrecht,
Fremde zu übergehn, die Telemachos’ Wohnung besuchen!
Meinst du, wenn etwa der Fremdling den großen Bogen Odysseus’
Spannt, so wie er den Händen und seiner Stärke vertrauet,
Daß er mich dann heimführe und zur Gemahlin bekomme?
Schwerlich heget er selbst im Herzen solche Gedanken!
Und auch keinen von euch bekümmere diese Vermutung
Unter den Freuden des Mahls! Unmöglich ist es, unmöglich!
Aber Polybos’ Sohn Eurymachos sagte dagegen:
O Ikarios’ Tochter, du kluge Penelopeia,
Daß du ihn nehmest, besorgt wohl keiner; es wäre nicht möglich.
Sondern wir fürchten nur das Gerede der Männer und Weiber.
Künftig spräche vielleicht der schlechteste aller Achaier:
Weichliche Männer werben um jenes gewaltigen Mannes
Gattin; denn keiner vermag den glatten Bogen zu spannen.
Aber ein anderer kam, ein armer, irrender Fremdling,
Spannte den Bogen leicht und schnellte den Pfeil durch die Äxte!
Also sprächen sie dann, und es wär uns ewige Schande!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Ganz unmöglich ist es, Eurymachos, daß man im Volke
Gutes rede von Leuten, die jenes trefflichen Mannes
Haus durch Schwelgen entweihn! Doch was achtet ihr jenes für Schande?
Seht den Fremdling nur an, wie groß und stark er gebaut ist;
Und er stammt, wie er sagt, aus einem edlen Geschlechte.
Aber wohlan, gebt ihm den schöngeglätteten Bogen!
Denn ich verkündige jetzt, und das wird wahrlich erfüllet:
Spannt der Fremdling den Bogen und schenkt Apollon ihm Ehre,
Will ich mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel, ihn kleiden,
Einen Speer ihm verehren, den Schrecken der Menschen und Hunde,
Ein zweischneidiges Schwert und Sohlen unter die Füße,
Und ihn senden, wohin es seinem Herzen gelüstet.
Und der verständige Jüngling Telemachos
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