Öffne deine Seele (German Edition)
Hände, die sich noch immer umklammerten. «Oder vorgestern inzwischen. Am Sonnabend. Hier in diesem Raum. Er wollte noch weggehen, glaube ich, aber das wird euch Madeleine sagen können. Unsere Angestellte.»
«War das nicht ungewöhnlich?» Ich sah von meinem Notizblock auf. «Dass er abends noch unterwegs war, wenn heute die Regatta …»
«Nein.» Sie schüttelte den Kopf. «In Flensburg gehören wir zu den Ausrichtern, und er nimmt niemals teil, wenn wir …» Sie brach ab. «Er hat niemals teilgenommen.»
«Ich verstehe.» Albrecht wandte den Blick ab und schaute einen Moment ins Kaminfeuer, bevor er Luft holte. «Elisabeth, du weißt, dass wir dir diese Frage stellen müssen: Fällt dir ein Mensch ein, der Falk möglicherweise Böses wollte? Hatte der Junge Feinde?»
Sie öffnete den Mund.
Die Spitze meines Kugelschreibers schwebte einen halben Zentimeter über dem Notizblock.
Doch sie schwieg, hob nur den Blick von ihrem Schoß und löste die Hände voneinander.
Elisabeth Sieverstedt reckte das Kinn vor.
«Er war ein Sieverstedt, Jörg. Beantwortet das deine Frage?»
***
Albrecht erinnerte sich an die beiden weitläufigen Zimmer unter dem Dach der Villa.
Helle Räume, in denen eine beinahe mediterrane Atmosphäre herrschte. An Sommernachmittagen hatte diese Zimmer ein Licht erfüllt, das Elisabeth mit der Toskana oder wahlweise mit den Künstlerkolonien an der Nordspitze Dänemarks verglichen hatte.
Hier war ihr Atelier gewesen, in dem sie etwas von der Stimmung jener Tage eingefangen hatte, in Aquarell und Tempera.
Nichts davon war geblieben.
Vor den breiten Panoramascheiben hing die Nacht.
Und auch die Zimmer selbst waren kaum wiederzuerkennen.
Elisabeth Sieverstedt hatte keine Einwände erhoben, als Albrecht gefragt hatte, ob sie sich Falks Wohnung einmal ansehen dürften.
Hannah Friedrichs schritt jetzt die Räumlichkeiten ab und machte Fotos, bevor sie etwas anfasste. Konzentriert und professionell.
Mit den Augen eines Fremden, dachte Jörg Albrecht.
Augen, die ihm selbst nicht zur Verfügung standen.
Langsam ließ er den Blick durch das vordere der beiden Zimmer wandern. Helle Möbel, an den Wänden hochwertige Kunstdrucke. Auf der Fensterbank eine Batterie von Zimmerpflanzen, um die sich vermutlich eher das Hauspersonal gekümmert hatte.
Wo in diesen Räumen verbarg sich Falk Sieverstedt? Wo war das, was den jungen Mann ausgemacht hatte?
Nebenan vielleicht? Der Hauptkommissar trat in die Tür und ließ den Blick durch das angrenzende Schlafzimmer schweifen: ein ausladendes Bett, ein massiver Kleiderschrank. Dunkle, bodenlange Vorhänge. Ein Versuch, die Welt dort draußen auszuschließen?
War das Falk Sieverstedt?
Oder ging der Gedanke zu weit?
Friedrichs war jetzt dabei, den Laptop des Toten und dessen Zubehör zu inventarisieren, damit sie Elisabeth eine Quittung ausstellen konnten.
Mittlerweile gehörte es zum üblichen Prozedere in einem solchen Fall, den Computer des Opfers auf die Dienststelle mitzunehmen.
Wann genau ist das passiert?, fragte sich der Hauptkommissar.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der er aus den Werken im Bücherregal, der Garderobe im Kleiderschrank, ja, aus der Farbe der Tapeten Schlüsse auf den Charakter des Bewohners hatte anstellen können.
Natürlich existierte diese Dimension des Lebens nach wie vor, und doch hatte sich etwas grundlegend und nachhaltig verändert.
Die jüngere Generation lebte eigentlich gar nicht mehr in der Wirklichkeit – oder nur noch zum geringen Teil.
Zusammenhänge einer Ermittlung und Motive der Beteiligten ließen sich nicht länger allein durch hergebrachtes deduktives Denken klären, in enger Zusammenarbeit mit der Spurensicherung und Gerichtsmedizin.
Verheerungen im Innern der menschlichen Seele, dunkle Triebkräfte, die ein Leben gewaltsam beendet hatten, waren heute in einer abstrakten Anordnung von Bits und Bytes gespeichert.
Albrecht massierte seine Nasenwurzel.
Das ist keine Entschuldigung!
Was siehst du? Gerade wenn du dich an diesen Raum erinnerst, müsste dir der Unterschied, müsste dir das, was Falk Sieverstedt war, nur umso deutlicher vor Augen treten.
Doch er konnte nichts sehen.
Alles, was er sah, war die Erinnerung.
zwei
E s war Montag, der vierundzwanzigste Juni. Acht Uhr siebenundzwanzig.
Jörg Albrecht hatte vor dem Whiteboard an der Stirnseite des Besprechungsraums Position bezogen und beobachtete, wie seine Mitarbeiter einer nach dem anderen ihre Plätze einnahmen.
Sie ahnten noch
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