Öffne deine Seele (German Edition)
Gesicht war verquollen.
Natürlich war sie hübsch, selbst in diesem Moment noch. Auf eine ganz andere, tiefere, geheimnisvollere Weise als eine föhngewellte Blondine, an deren Seite Joachim Merz sein Gesicht einmal mehr in der Klatschpresse hätte bewundern können, wenn das sein eigentlicher Antrieb gewesen wäre. Auf eine Weise, die die Leser solcher Blätter womöglich gar nicht erfassen konnten.
Aber das war nicht das Entscheidende.
«Wie gesagt.» Merz sah den Moderator an. «Am Anfang war es ihre Stärke. Ich habe gespürt, dass wir … gleichwertig sind. Ein Kampf, in jeder Beziehung, und ich kann Kämpfen schwer aus dem Weg gehen. Und auf eine Weise …»
Wieder musste er an ihren Körper denken, ausgeliefert und bloß, zu seinen Füßen.
«Auf eine Weise habe ich diesen Kampf gewonnen. Wobei sie es mir in dieser Beziehung leicht gemacht hat, doch …» Er schüttelte den Kopf.
«Ja?»
Merz sog die Luft ein. «Sie ist echt», sagte er. «Das ist sie mehr als alles andere. Ja, wir haben gespielt, und doch war es mehr als das. Es ist einfach …»
Wieder betrachtete er den Monitor.
Hannah in ihren Fesseln. Gerade weil die Szene auf gespenstische Weise Ähnlichkeit hatte mit dem, was sie beide miteinander erlebt hatten, wünschte er sich in diesem Augenblick nichts mehr, als Justus mit bloßen Händen den Kopf abzureißen.
«Ich weiß nicht, was es ist», sagte er leise. «Aber ich spüre, dass ich nie wieder zur Ruhe kommen werde, wenn ich es nicht herausfinde.»
Stille.
Merz spürte Dennis’ Präsenz in seinem Rücken: äußerste Anspannung. Ihn in dieser Weise von seiner Frau sprechen zu hören, musste mehr sein, als er ertragen konnte.
Selbst Folkmar hatte seine Tipperei aufgegeben, seitdem er in den Raum zurückgekehrt war.
Marius nickte nachdenklich.
«Das sind, zugegeben, eindrucksvolle Aussagen.» Er betrachtete die Kamera. «Hast du gehört, was diese beiden Männer gesagt haben, Hannah?»
Sein Tonfall hatte sich verändert.
Merz selbst verfolgte die Show nur sporadisch, doch er wusste, dass dem Moderator durchaus unterschiedliche Tonlagen zur Verfügung standen. Marius konnte auch echten Respekt zum Ausdruck zu bringen – wenn er ihn empfand.
«Diese beiden Männer haben viel, sehr viel für dich gewagt, Hannah. Sie haben Dinge ausgesprochen, die die meisten Menschen in ihren Seelen verschließen. Und dieses Wagnis sind sie nicht etwa unter dem Schutz eines unbekannten Namens eingegangen, wie wir es hier in der Sendung gemeinhin halten, nein: Jeder Mensch auf der Straße, dem sie morgen begegnen, oder übermorgen oder im nächsten Jahr – jeder Mensch wird diese Geheimnisse kennen. Das Geheimnis ihrer Liebe. Zwei Männer, Hannah, die dich lieben, jeder von ihnen auf seine Weise.»
Er legte die Hände ineinander.
«Ich hatte dir die Frage gestellt, was es ist, das dir in deinem Leben so schrecklich fehlt. Nun, ich möchte bezweifeln, ob du selbst es exakter hättest auf den Punkt bringen können, als diese beiden Männer es getan haben. Sie lieben dich, und ich zweifle keinen Augenblick daran, dass auch du sie liebst: alle beide, jeden von ihnen auf eine eigene Weise. Denn jeder dieser beiden steht für eine Seite von dir, ohne die du nicht die Frau wärst, die du bist.»
Ein Blick nach links.
«Du kannst Dennis wählen, die Sicherheit, das Leben, das ihr euch gemeinsam aufgebaut habt mit dem hübschen Haus in Seevetal. Aber sei gewiss: Wann immer du in diesem hübschen Haus aus dem Fenster schaust, wirst du dich daran erinnern, dass irgendwo da draußen etwas ist, das mehr ist, wild und gefährlich. Ein Mann, nach dem sich unzählige Frauen verzehren, der sich selbst aber nach dir verzehrt.»
Ein Blick nach rechts.
«Oder aber du kannst ebendiesen Mann wählen. An seiner Seite wirst du ein Leben führen, in dem du zum Nachdenken wahrscheinlich gar nicht mehr kommst: wild, gewagt, leidenschaftlich. Cocktailpartys mit den oberen Zehntausend, Sektempfänge und Vernissagen und ein ständiger Kampf, wie Dr. Merz es so hübsch ausgedrückt hat, ob im Bett oder als Freiluftveranstaltung. Aber wenn …» Er löste die Hände voneinander und hob den Zeigefinger. «Aber wenn du zum Nachdenken kommst: Wirst du leben können mit der Erinnerung an das, was du verloren hast?»
Er legte die Hände flach auf den Tisch, die Handflächen nach oben.
«So oder so, Hannah: Du wirst etwas gewinnen und etwas verlieren. Und gleichzeitig wirst du wissen, dass einer dieser beiden Männer
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