Öffne deine Seele (German Edition)
draußen blieb sie stehen. «Wenn Sie noch Fragen haben, stehe ich Ihnen zur Verfügung.»
Mit spitzen Fingern reichte sie mir das Papier.
Ich hob die Schultern und nahm das Kärtchen entgegen.
Ich hatte längst beschlossen, Marius noch einmal in die Zange zu nehmen – aber diesmal würde ich das Schlachtfeld bestimmen.
Mit dem Unterschied, dass ich mir diesmal zuerst die Aufzeichnungen der Sendung ansehen würde, die Winterfeldt inzwischen gesichtet haben musste. Bis morgen früh auf jeden Fall.
Schließlich hatte er die ganze Nacht lang Zeit, selbst wenn er – wie angekündigt – zwischendurch die aktuelle Sendung verfolgte.
Mein eigener Auftritt dürfte ihm kaum entgangen sein.
Ich bedankte mich mit einem Nicken und steckte die Karte ein.
«Der Empfang ist jetzt nicht mehr besetzt», informierte mich Merkatz. «Fahren Sie links am Gebäude vorbei, dann kommen Sie weiter unten am Heuweg heraus.»
Ich merkte mir die Information. Diese Stelle würde ich mir genau ansehen – für den Fall, dass noch einmal ein echter Überraschungsbesuch notwendig werden sollte.
Marius’ Assistentin blieb an der Tür stehen, während ich über den Parkplatz zu meinem Nissan ging und einstieg. Die beiden anderen Wagen standen noch immer an Ort und Stelle, Menschen waren nicht zu sehen.
Im Obergeschoss der Scheune brannte jetzt Licht, der Rest der Fenster zur Hofseite war dunkel, ausgenommen das Eingangsfoyer mit der Bibliothek.
Die jungen Leute, die Schüler , hielten sich vermutlich in der Scheune auf.
Was genau lernten sie hier? Konnte man sich bei Marius als Schüler bewerben, oder wie wurden diese Menschen ausgewählt? War womöglich auch Falk …
Ich schüttelte den Kopf und ließ gleichzeitig den Wagen an.
Nach Aussage des Moderators war er Falk niemals persönlich begegnet. Doch über Marius’ Ehrlichkeit machte ich mir keine Illusionen. Wenn bei einem Menschen Lügen und Halbwahrheiten zum Berufsbild gehörten, dann war es dieser Mann.
Aber auch Yvette war vollständig überrascht gewesen, als ich Falks Anruf bei Marius erwähnt hatte …
Es gab Möglichkeiten, diese Dinge zu prüfen. Doch wenn wir uns dabei auf Marius’ Angaben und die seines Hofstaats verließen, war das der falsche Weg.
Anweisungsgemäß fuhr ich links am Gebäude vorbei. Rechts von mir konnte ich in einem Unterstand den Traktor mit den Baumstämmen erkennen, doch dahinter ging die Straße weiter.
Eine ungepflasterte Piste, schmal und einspurig, zog sich in leichten Windungen durch dichten Wald bergab. Es gab keine Möglichkeit, falsch abzubiegen. Nach einer Weile passierte ich eine Schranke, die allerdings geöffnet war. Vermutlich die Grenze von Marius’ Anwesen.
Fünf Minuten später lichtete sich der Wald, und ich kam an einem Gebäude wieder ins Freie, das mir bereits auf dem Hinweg aufgefallen war.
Ein Restaurant, die Kleine Sennhütte .
Ich grinste müde. Damit einem die Schwarzen Berge wie ein richtiges Gebirge vorkamen, musste man schon echter Hamburger sein.
Doch zumindest mit dem Ambiente hatte man sich Mühe gegeben: An der Zufahrt zum Heuweg wachte eine aus Holz geschnitzte, ungefähr sieben Meter hohe Eule. Gegen meinen Willen musste ich sofort wieder an Marius denken bei diesem stieren, starrenden Blick.
Seufzend bog ich nach links, noch einmal den Berg hoch, vorbei an der Stelle, an der ich Joachim begegnet war, vorbei am Café.
Raus aus der Stadt. Nach Hause.
Mit jedem Kilometer veränderte sich etwas.
Meinen Abgang aus dem Studio konnte ich als Erfolg verbuchen, von dem Zwischenfall mit der Kamera einmal abgesehen. Einem Marius, der Blut gewittert hatte, durch die Finger zu schlüpfen, war ein Kunststück.
Er war es, der die Gespräche mit seinen Freunden beendete, sobald er ihnen an den Kopf geworfen hatte, was er ihnen mitzuteilen wünschte. Und mit Sicherheit hatte er sich das bei mir ganz genauso vorgestellt.
Ich war entkommen.
Doch erst im allerletzten Moment war mir klargeworden, auf wie dünnem Eis ich mich bewegt hatte.
Ich ließ die Fenster vollständig nach unten und spürte den Nachtwind auf meiner Haut, doch selbst er brachte keine echte Abkühlung, sondern fühlte sich klebrig an in der schwülen Dunkelheit, irgendwie … schmutzig?
Ich biss die Zähne zusammen.
Rechts ging es ab nach Tötensen und Rosengarten – auch eines der Prominentenviertel vor den Toren der Stadt. Die Gegend von Seevetal, in der unser Häuschen stand, war nicht ganz so edel, aber eben doch noch ein, zwei
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