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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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zu den wichtigsten Eigenschaften eines Journalisten – das hatte mir Zaq am Bar Beach in Lagos mit auf den Weg gegeben.
    Und dann kommt er aus dem Büro, hinter sich ein Gefolge von drei anderen, und er sieht uns an und dreht sich zu seinem Sekretär mit der blauweißen Krawatte um und fragt:
    »Wer sind die, was machen die hier in meinem Vorzimmer?«
    Es ist das erste Mal, dass ich ihn leibhaftig zu sehen bekomme.
    Der Vorsitzende befiehlt:
    »Geht und schreibt einen Aufsatz über die Schlagzeilen von heute.«
    Und wir daraufhin: »Was genau sollen wir denn schreiben?«
    Und er: »Das spielt keine Rolle, nur denkt immer daran: Kommt auf den Punkt, bleibt nah dran an der Sache. Je weiter ihr von Zuhause weggeht, desto näher kommt ihr Sibirien. Prägt euch das ein.«
    Das Mädchen gibt als erste auf. Sie sagt, dass sie woanders ein Angebot habe, bei einer Modezeitschrift, und ihre Tage wirklich nicht damit verschwenden kann, in einem Vorzimmer zu versuchen, idiotische Rätsel über Sibirien zu lösen. Bevor sie geht, ruft sie mich noch nach draußen und sagt:
    »Du verschwendest deine Zeit. Der Junge kommt aus demselben Dorf wie der Chefredakteur. Er wird die Stelle kriegen. Ist alles schon abgesprochen.«
    Ich danke ihr und gehe ins Vorzimmer zurück, in dem Tekena und ich nun weiter sitzen, nicht mehr nebeneinander wie bisher, vereint sozusagen, sondern feindlich einander gegenüber, und als ich seines überheblichen, wissenden Lächelns überdrüssig bin, stehe ich auf, gehe auf die Toilette und rufe die Nummer an, die Zaq mir am Bar Beach gegeben hat. Und er nimmt ab.
    »Ich brauche Ihre Hilfe, Mr. Zaq.«
    Zu guter Letzt werden wir beide eingestellt, Max und ich. Doch von Anfang an ist klar, dass ich nicht in derselben Liga wie Max spiele. Er ist ein Naturtalent, und bevor noch unsere Probezeit vorüber ist, hat er bereits eine Titelgeschichte. Der Redakteur geht mit ihm durch die Redaktion, von einem Tisch zum anderen, die Titelseite in der Hand, lobt ihn und als er in meinen Winkel kommt, bleibt er stehen und sagt:
    »Junger Mann, du wirst künftig Max bei Lokalaufträgen begleiten, aber als Fotograf. In deinem Lebenslauf steht, wenn er denn wahr ist, dass du schon fotografiert hast. Also, arbeite mit ihm zusammen, und vielleicht kannst du dabei ja auch einiges lernen.«
    Ich hasste Max Tekena nicht. Er erwies sich als mein einziger Freund in der Redaktion; zum Mittagessen saßen wir immer zusammen und redeten über Mädchen und Fußball und Filme. Ich hätte ihn gehasst, wenn er lediglich der Verwandte des Chefs gewesen wäre, doch er besaß außerdem Talent. Er hatte ihn, diesen Instinkt, den nur ein echter Journalist hat, die Fähigkeit, nahezu mühelos vorhersagen zu können, was für eine Geschichte sich entwickeln würde, und sie dann bis zum logischen Schluss gnadenlos zu verfolgen. Vielleicht starb er deswegen so früh. Mit sechs anderen Reportern war er tief in die Wälder hinaus gefahren, um fünf ausländische Geiseln zu interviewen, die maskierte Gangster am helllichten Tag aus ihren Büros entführt hatten. Die Entführer luden in ihrem Streben nach Öffentlichkeit normalerweise eine Gruppe ausgewählter Journalisten in ihr Versteck ein, damit sie bezeugten, dass die Geiseln am Leben und unverletzt waren. Anschließend hielten sie lange Reden über die Umwelt und ihre Gründe, gegen die Regierung und die Ölgesellschaften zu den Waffen zu greifen, und zum Schluss gaben sie einem der Reporter noch eine Lösegeldforderung mit. Ungefähr eine Woche später, das hing davon ab, wie schnell die Verhandlungen vonstattengingen, zahlten die Ölgesellschaften und die Geiseln wurden freigelassen, unversehrt, jede die Taschen voller Anekdoten. Diesmal aber entwickelten sich die Dinge nicht so reibungslos. Eine Geisel, ein verzagter philippinischer Bauunternehmer, der vielleicht daran zweifelte, jemals wieder frei zu kommen, war mit einem Mal aufgesprungen und hatte in einem der Schnellboote zu fliehen versucht, die darauf warteten, die Reporter nach Port Harcourt zurückzubringen. Er kam aber nicht weit. Die Rebellen in ihren schwarzen Overalls, die Gesichter hinter Masken aus grünen Blättern verborgen, fingen wild an zu feuern, und hinterher lagen drei Männer tot auf dem Kieselstrand. Der eine war der Bauunternehmer, die beiden anderen waren die Reporter Max Tekena und Peter Olisah.
    Und deshalb blieb die Einladung, eine Geisel zu interviewen, diesmal unbeachtet vor dem Büro des Chefredakteurs hängen.

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