Öl auf Wasser - Roman
zurückkam. Sie war verängstigt und schlief zwei Nächte nicht. Als ich sie fragte, was nicht in Ordnung wäre, erzählte sie mir vom Bibelheiligen. Ihr Vater war schon vor vielen Jahren gestorben und ihre Mutter wollte wieder heiraten, hatte aber kein Glück, und deshalb bat sie den Bibelheiligen, für sie zu beten. Er zog bei ihrer Mutter ins Gästezimmer und schwängerte später nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre siebzehnjährige Schwester. Sie zeigte ihn bei der Polizei an, aber ihre Mutter weigerte sich, ihre Aussage zu bestätigen, und ihre Schwester war so verängstigt und verwirrt, dass sie nicht wusste, wem sie zur Seite stehen sollte, und die ganze Zeit lauerte der Bibelheilige im Hintergrund, sprach kein Wort, hielt seine Bibel umklammert und missbrauchte den Namen des Herrn. Und sie war gegangen. Sie hatte aufgegeben. Schluchzend klammerte sie sich an mich, so fest, dass ich kaum noch atmen konnte. Ich habe keine Familie mehr. Du bist alles, was ich noch habe. Versprich mir, dass du immer bei mir bleiben wirst.
Davon aber erzählte ich Zaq kein Wort.
»Meine letzte Freundin wollte, dass wir heiraten, aber ich war noch nicht so weit. Wir waren noch zu jung. Dreiundzwanzig, beide. Sie wollte, dass wir nach Abuja gehen und ein neues Leben beginnen. Allein. Weit weg von Familie und Freunden.«
»Nein. Sie hatte Unrecht. Und war eigensüchtig. Man kann vor der Familie nicht fliehen. Das ist nicht recht.«
Am nächsten Morgen war Zaq wie ausgewechselt: Er weckte mich früh, gerade rechtzeitig, dass wir die Prozession zum morgendlichen Tauchbad anschauen konnten.
»Wird Zeit, dass wir ein paar Wahrheiten herausfinden. Zeit, dass wir weitermachen.«
»Du meinst, wir sollten nach Port Harcourt zurück?«
»Nein. Ich gehe nicht dahin zurück.«
»Wie meinst du das?«
»Wie ich es gesagt habe. Die ganze Zeit habe ich in diesem fensterlosen Büro ohne frische Luft gesessen und draußen hockte mein lieber Freund Beke hinter seinem Schreibtisch und freute sich hämisch darüber, dass er jetzt mein Arbeitgeber und der große Zaq endlich zurechtgestutzt war – er hat mich immer beneidet, weißt du – und die ganze Zeit hatte ich vor allem davor Angst, da drin zu sterben, nicht mehr in der Lage zu sein, rauszugehen und einer echten Story nachzuspüren. Ich wusste, dass ich nur aufzustehen und rauszugehen brauchte, aber ich hatte Angst. Ich habe schon so oft was falsch gemacht, in meinem Beruf und in vielen anderen Dingen auch.«
»Du sprichst in Rätseln, Zaq.«
»Ich habe Pläne. Ich kann ein paar Gönner auftreiben. Komm mit mir nach Lagos und wir machen eine neue Zeitung auf, eine, die ihren Namen verdient.«
»Ich muss zurück ins Büro.«
»Nun, dann überleg dir, ob du lieber die Fähre nach Port Harcourt nehmen möchtest oder mit mir in den Wald gehen willst, die Frau suchen. Du glaubst vielleicht, Aah, der ist immer noch betrunken, und morgen hat er alles vergessen. Du musst dich auch nicht sofort entscheiden. Wir sprechen das noch genauer durch. Zumindest aber weiß ich, dass du das Zeug zu einem echten Reporter hast. Du stellst die richtigen Fragen, du bist tatsächlich auf diese Insel zurückgekommen, du scheust dich nicht, eine Gelegenheit beim Schopf zu packen. Und ich bin mir sicher, das Glück steht uns bei: Wir sind hier und gehen einer nahezu perfekten Story nach. Eine Britin, die von einheimischen Rebellen entführt wurde, die zu den Waffen gegriffen haben, um ihre Umwelt vor den gierigen multinationalen Ölgesellschaften zu schützen. Perfekt. Für jede Zeitung eine gute Story.«
Ich hörte ihm schweigend zu, obwohl ich ihm sagen wollte: Es schmeichelt mir, dass du glaubst, ich könnte ein großer Reporter werden, doch im Augenblick sitzt meine Schwester mit ihrem zernarbten Gesicht und der noch schwerer verletzten Seele in meinem Zimmer und weint. Ich muss bei ihr sein, damit sie nicht irgendetwas Verrücktes macht. Und, doch das nur nebenbei, wenn ich nicht bald wieder im Büro auftauche, verliere ich meine Stelle.
Aber ich nickte nur.
»Denk drüber nach.«
In dem Vortrag, den er damals in Lagos gehalten hatte, hatte Zaq gesagt, dass wir die besten Stories mit Tränen in den Augen schreiben, weil sie uns unmittelbar angehen, weil wir sie fühlen. Nachdem ich meine Schwester im Krankenhaus besucht hatte, griff ich, weil ich nicht schlafen konnte und mich die Vorstellung von verbranntem Fleisch quälte und der Geruch nach Benzin, der in den Fluren und an den Wänden des
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