Öl-Connection
Schiff lenken? Die Piraten? Im Fernsehen sagten sie, die Piraten seien alles Männer, die weder lesen noch schreiben könnten. Wie können sie dann ein so großes Schiff steuern? Das können nur Papa und seine Offiziere. Sie müssen also leben, um das Schiff zu fahren. Papa ist nicht tot – er ist Gefangener der Seeräuber.«
Dr. Wolffers starrte den Jungen fassungslos an. Er hat recht, durchfuhr es ihn, er hat wirklich recht. Daran hat niemand gedacht: Wer hat das Schiff in das Versteck von Nyen Su-Feng gebracht? Das konnten tatsächlich nur Hammerschmidt und seine Besatzung. Also leben sie … lebten jedenfalls so lange, bis sie das Versteck erreicht hatten. Aber was will Nyen mit einem solchen Schiff anfangen? Wie will er die Container-Ladung an Land bringen? Wie kommt sie zu den Hehlern? Mein Gott, wo ist meine Logik geblieben? Natürlich muß die Else Vorster beladen bleiben, natürlich muß Hammerschmidt, mit der Pistole im Nacken, sie irgendwohin fahren, natürlich muß er weiterleben, denn ohne Hammerschmidt muß Nyen seine Beute verfaulen lassen.
»Mein Junge«, sagte Dr. Wolffers gerührt, »du hast die Lösung gefunden. Nur so kann es sein: Der Kapitän lebt und muß die Else Vorster dorthin bringen, wo Nyen seine Abnehmer hat.«
»Ich sage ja, ich fühle es: Ernst lebt!« sagte Mathilde und faltete die Hände, als wolle sie beten. »Und wenn er lebt, dann wird es ihm auch gelingen zurückzukommen.«
Dr. Wolffers verabschiedete sich schnell, fuhr zurück nach Hamburg und alarmierte mit der neuen Hoffnung das Seeschiffahrtsamt und das Bonner Verkehrsministerium. Er mußte lange reden, bis man sich entschloß, noch einmal ein Fax an die zuständigen Behörden von Malaysia, Thailand, Singapur und Vietnam zu schicken. Alle antworteten, daß sie selbstverständlich ihre Küste unter Bewachung hielten, nur Vietnam schwieg offiziell. Intern jedoch wurde die Marine des Landes alarmiert. Die Radarstationen tasteten das Südchinesische Meer ab.
Aber bis nach Jemaja kamen sie nicht, und Nyen Su-Feng dachte nicht daran, die Insel zu verlassen. Er hatte Zeit, viel Zeit, und sein Versteck war einmalig. Die Welt hat ein kurzes Gedächtnis, sagte er sich. In drei, vier Monaten kann sich kaum noch jemand daran erinnern, wer oder was die Else Vorster war. Dann war die Zeit gekommen, daß Hammerschmidt das Schiff wieder hinaus auf die offene See steuern würde mit einem Ziel, das er erst auf der Fahrt erfahren sollte.
Dr. Wolffers besuchte nun auch die Verwandten von Halbe und Botzke. Jetzt kam er nicht, um zu kondolieren, sondern um Mut und Zuversicht zu verbreiten.
Wieder in seinem Büro überreichte ihm seine Chefsekretärin ein Fax, das vor zwei Tagen eingetroffen war: Zusammenkunft am 27. auf Barbados. Hotel Glitterbay. Jeanmaire.
»Ich habe den Flug schon gebucht, Herr Doktor«, sagte die Sekretärin. »Für den 26. über Frankfurt.«
»Wenn ich Sie nicht hätte, Monika! Sonst noch was?«
»Ja. Die Versicherungen wollen nicht zahlen. Verschwunden ist nicht gesunken, sagen sie. Unklare Verhältnisse. Außerdem ist Kaperung nicht ausdrücklich im Vertrag genannt.«
»Das wollen wir ja mal sehen!« Dr. Wolffers reckte sich kampfeslustig. »Diese Gauner in ihren Glaspalästen! Das fechten wir durch mit allen juristischen Mitteln, was, Monika?«
»Ja, Herr Direktor. Ich habe daran auch gedacht.« Sie lächelte allwissend. »Ich habe in Ihrem Namen die Anwälte Dr. Jünger und Dr. Faltermaier für morgen vormittag 10 Uhr herbestellt.«
»Sie sind die beste aller Chefsekretärinnen, Monika!« rief Dr. Wolffers und tätschelte ihre rechte Wange. »Wenn ich nicht verheiratet wäre, wer weiß …«
Fröhlich pfeifend ging er in sein Zimmer und ließ die schwere, schalldichte Tür hinter sich zufallen.
Barbados
Wer Barbados kennt, weiß, daß dort kein Wunsch an Karibikromantik unerfüllt bleibt. Es ist die Insel der Freude, der Steelband, des Limbo, des Rums und der Liebe. Hier mußte Gott mit besonderer Bewunderung über sein Werk die Blumen gepflanzt und die Bäume gesetzt haben. Und das Glitterbay vereinte in sich all das, was Schönheit, Luxus, Farbenpracht und Zufriedenheit herbeizaubern können. Es lag direkt am Meer mit einem eigenen, weißen Sandstrand. Die Suiten waren groß, mit breiten Balkonen oder Terrassen. Die Küche, weit gerühmt, ließ auch den verwöhntesten Feinschmecker wortlos genießen. Es war genau die richtige Adresse für einen Pierre Jeanmaire, der nichts mehr haßte als Mittelmaß.
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