Offenbarung
Geld nach Hause schicken und
Erkundigungen einziehen kann.«
Er seufzte so tief, als laste die ganze Welt mit all ihren Sorgen
auf seinen Schultern. »Was wissen Sie eigentlich über die
Kathedralen, Miss Els? Ganz konkret, meine ich.«
Sie spürte, dass die Frage ausnahmsweise ehrlich gemeint war.
»Es sind fahrende Gebäude«, sagte sie, »viel
größer als die Wagen dieser Karawane, viel langsamer…
aber dennoch Maschinen. Sie umrunden Hela auf der
Äquatorstraße, die wir den Ewigen Weg nennen, und
vollenden alle dreihundertzwanzig Standardtage einen
Umlauf.«
»Und was hat diese Umrundung für einen Zweck?«
»Man will sicherstellen, dass Haldora ständig am Himmel
und im Zenith steht. Die Welt dreht sich unter den Kathedralen
weiter, aber die Kathedralen gleichen ihre Bewegung aus.«
Der Schatten eines Lächelns umspielte die Lippen des
Quästors. »Und was wissen Sie über die Bewegung der
Kathedralen?«
»Sie ist langsam«, sagte sie. »Im Durchschnitt
brauchen die Kathedralen nicht schneller zu fahren, als ein
Säugling krabbeln kann, um Hela in dreihundertzwanzig Tagen zu
umrunden. Ein Drittel Meter pro Sekunde genügt.«
»Das ist nicht allzu schnell, nicht wahr?«
»Eigentlich nicht, nein.«
»Es wird Ihnen sehr schnell erscheinen, wenn ein mehrere
hundert Meter hoher Metallkoloss auf sie zufährt und Sie erst im
allerletzten Moment zur Seite springen dürfen, bevor Sie unter
die Sohlenplatten geraten.« Quästor Rutland Jones beugte
sich vor, bis sein Bauch gegen den Schreibtisch gedrückt wurde,
und legte die gefalteten Hände vor sich auf die Platte.
»Der Ewige Weg ist eine Straße aus verdichtetem
Eis, die den Planeten bis auf ein oder zwei
Unregelmäßigkeiten wie ein Band umgibt. Er ist nirgendwo
breiter als zweihundert Meter und häufig sehr viel schmaler.
Doch selbst eine kleine Kathedrale kann fünfzig Meter breit
sein. Die größten – wie etwa die Morwenna – messen das Doppelte. Und da alle Kathedralen sich genau auf dem
mathematischen Punkt platzieren wollen, von dem aus Haldora
präzise im Zenith, also über ihnen steht, kommt es zu
gewissen…« – eine Stimme bekam einen spöttischen
Ton – »Streitigkeiten um den verfügbaren Raum. Solche
Revierkämpfe können zwischen rivalisierenden Kirchen,
selbst wenn sie an die Regeln der Ökumene gebunden sind, ganz
erstaunliche Formen annehmen. Auch vor Sabotage und Betrug scheut man
nicht zurück. Sogar Kathedralen, die ein und derselben Kirche
angehören, machen sich einen Spaß daraus, sich gegenseitig
zu hintergehen.«
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen,
Quästor.«
»Ich will sagen, dass Beschädigungen des Weges – gezielter Wandalismus – nicht ungewöhnlich sind. Manche
Kathedralen richten Hindernisse hinter sich auf oder beschädigen
gar die Fahrbahn. Und Hela tut das Seine. Steinschläge…
Eisstürze… Vulkanausbrüche… können den Weg vorübergehend unpassierbar machen. Deshalb
unterhalten die Kathedralen die so genannten Weg-Trupps.« Er sah
Rachmika scharf an. »Diese Trupps ziehen vor den Kathedralen
her. Nicht zu weit voraus, um nicht Gefahr zu laufen, dass auch die
Gegner sich die Vorteile ihrer Arbeit zunutze machen, nur so weit,
dass sie ihre Projekte abschließen können, bevor die
Kathedrale eintrifft. Ich will Ihnen nichts vormachen: Die Arbeit ist
schwierig und gefährlich. Aber man braucht dafür einige von
den Fähigkeiten, die Sie erwähnten.« Er klopfte mit
seinen dicken Fingern auf den Tisch. »Man arbeitet auf dem Eis,
im Vakuum. Verwendet Schneidwerkzeuge und Sprengstoffe. Programmiert
Servomaten für die gefährlicheren Aufgaben.«
»An diese Art von Beschäftigung hatte ich nicht
gedacht«, sagte Rachmika.
»Nein?«
»Ich finde, wie bereits erwähnt, dass meine
Fähigkeiten im Verwaltungsbereich, vielleicht in einer der
archäologischen Forschungsgruppen viel besser zum Tragen
kämen.«
»Das mag sein, aber in diesen Gruppen gibt es nur sehr selten
freie Stellen. Andererseits werden gerade durch die Art der
Tätigkeit in den Räumtrupps immer wieder Stellen
frei.«
»Weil die Leute wegsterben?«
»Die Arbeit ist schwer. Aber es ist Arbeit. Und das
Risiko ist auch nicht bei allen Räumtrupps gleich groß. Es
sollte nicht allzu schwierig sein, etwas für Sie zu finden, was
nicht ganz so gefährlich ist wie Zündschnüre zu legen,
und wo Sie vielleicht nicht einmal den ganzen Tag einen Druckanzug zu
tragen brauchen. Und Sie wären beschäftigt, bis sich eine
Möglichkeit findet, Sie
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