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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Bilgenmannschaft alle davon
überzeugt, dass sich das Spukverhalten des Captains
verändert.«
    »Und?«
    »Nachdem wir jetzt die letzten zehn bis zwölf Auftritte
eingetragen haben, glaube ich allmählich, dass sie Recht haben
könnten.«
    Das Schwein betrachtete blinzelnd die Karte. Es konnte im
gedämpften Licht des Konferenzraums mit seinen schwachen Augen
die rauchgrauen Bleistiftstriche kaum erkennen. Kartenlesen war noch
nie seine Stärke gewesen, nicht einmal früher unter
Scorpios Kommando in Chasm City. Damals hatte das kaum eine Rolle
gespielt. Blood hatte immer die Meinung vertreten, wenn man eine
Karte brauche, um sich irgendwo zurechtzufinden, sei man bereits in
Schwierigkeiten.
    Aber diese Karte war wichtig, denn sie stellte die Sehnsucht
nach Unendlichkeit dar, den Meeresturm, in dem sie gerade
saßen. Auf dem Papier zeigte sich das Schiff als lang
gestreckter Kegel aus vertikalen und horizontalen Linien oder als ein
mit verschnörkelten Hieroglyphen bedeckter Obelisk. Die Linien
symbolisierten die Decks, die miteinander verbundenen Schächte
und die größeren Innenwände. Die riesigen
Lagerräume erschienen in der Zeichnung als unbeschriftete
Höhlen.
    Das Schiff war vier Kilometer hoch, deshalb konnten Details in
menschlichen Dimensionen nicht dargestellt werden. Einzelne
Räume waren nur eingezeichnet, wenn sie von strategischer
Bedeutung waren. Die Kartografieversuche waren ohnehin so gut wie
sinnlos. Die langsame – von keinem Menschen zu beeinflussende
– innere Umstrukturierung des Schiffes hatte bisher alle
derartigen Bemühungen binnen weniger Jahre zum Scheitern
verurteilt.
    Es gab noch weitere Komplikationen. Die oberen Decks waren noch
ausreichend vermessen. Hier waren immer Besatzungsmitglieder
unterwegs, und die ständige Anwesenheit von Menschen hatte das
Schiff offenbar von allzu gravierenden Veränderungen abgehalten.
Aber die tiefer gelegenen Decks, besonders die unter dem
Meeresspiegel, waren weit weniger frequentiert. Dort hinunter begaben
sich die Arbeitstrupps nur in dringenden Notfällen, um dann
gewöhnlich festzustellen, dass das Innere ihren Erwartungen ganz
und gar nicht entsprach. Außerdem war in den Bereichen, wo sich
bereits grotesk verzerrte, archetypische Formationen gebildet hatten,
eine halbwegs präzise Vermessung ohnehin schwierig. Blood hatte
etliche der am schlimmsten verformten Zonen auf den unteren Decks
erkundet und war sich dabei vorgekommen wie in den
Höhlenlabyrinthen eines Albtraums.
    Das Lichtschiff war nicht nur im Innern ständigen Wandlungen
unterworfen. Bevor es den Orbit verließ und zur Landung
ansetzte, hatte es sein Heck abgeflacht. Der Flug war so chaotisch
verlaufen, dass kaum genauere Beobachtungen der Veränderungen
möglich gewesen waren. Da sich der untere Kilometer des Schiffs
– einschließlich der Doppelgondel mit den
Synthetikertriebwerken – seither unter Wasser befand, wusste man
noch immer nicht viel mehr. Taucher hatten zumindest die obersten
hundert Meter des versunkenen Teils erkundet, doch aus ihren
Berichten ergab sich wenig Neues. Sensoren konnten tiefer vordringen,
aber sie lieferten nur verschwommene Bilder, die zeigten, dass die
Grundform des Schiffes mehr oder weniger erhalten geblieben war. Die
entscheidende Frage, ob die Triebwerke jemals wieder funktionieren
würden, ließ sich daraus nicht beantworten. Der Captain,
der durch ein eigenes Nervensystem Informationen aus allen
Schiffsteilen empfing, wusste vermutlich schon, inwieweit sein Schiff
raumtauglich war. Aber der Captain sagte nichts.
    Vielleicht noch nicht.
    Antoinette hatte alle neueren und gesicherten Manifestationen John
Brannigans mit roten Sternchen und handschriftlichen Kommentaren
versehen. Blood sah sich die Daten an. Vermerkt waren jeweils der
Manifestationstyp und der oder die anwesenden Zeugen. Er setzte sein
Messer auf die Karte und kratzte vorsichtig hin und her, als wollte
er mit den Bleistiftstrichen fechten.
    »Er steigt nach oben«, bemerkte Blood.
    Antoinette nickte. Aus ihrer Frisur hatte sich eine Locke
gelöst und hing ihr ins Gesicht. »Das war auch mein
Eindruck. Und wenn ich mir das ansehe, muss ich Palfrey und seinen
Freunden Recht geben.«
    »Was ist mit den Daten? Erkennst du da irgendein
System?«
    »Nur insoweit, als bis vor etwa einem Monat alles so aussah
wie immer.«
    »Und jetzt?«
    »Mach dir selbst ein Bild«, sagte sie. »Ich finde,
die Karte spricht für sich. Das Spukverhalten hat sich
verändert. Der Captain ist unruhig

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