Offenbarung
Vermutlich sollen wir
dir zuerst die Rüstung abnehmen.«
»Das ist meine Sache«, sagte sie. »Kümmert ihr
euch darum, dass der Inkubator bereitsteht.«
Scorpio richtete eine imaginäre Pistole auf Vasko. »Sie
gehen zum Boot zurück, teilen Blood mit, dass wir in schwierigen
Verhandlungen stecken, und kommen mit dem Inkubator wieder
hierher.«
»Zu Befehl, Sir. Aber noch einmal, ich weiß, wie schwer
es Ihnen fällt…« Vasko brachte den Satz nicht zu Ende.
»Ich will nur sagen, ich bin bereit, es zu
übernehmen.«
»Ich weiß«, sagte Scorpio, »aber ich bin sein
Freund. Und ich möchte auf keinen Fall das Gewissen eines
anderen mit einer solchen Tat belasten.«
»Du hättest dir nichts vorzuwerfen, Scorp«, sagte
Clavain.
Nein, dachte Scorpio. Er hätte sich nichts vorzuwerfen.
Außer, dass er seinen besten, seinen einzigen, echten Freund
unter den Menschen langsam zu Tode gefoltert hätte, um das Leben
eines Kindes zu retten, das er nicht kannte und das ihm
gleichgültig war. Er hätte keine andere Wahl? Er täte
nur, was Clavain von ihm wollte? Na und? Das würde ihm weder die
Tat selbst, noch die Schuldgefühle erleichtern, mit denen er
hinterher würde leben müssen. Denn was in der nächsten
halben Stunde passierte – sehr viel länger konnte die
Prozedur wohl hoffentlich nicht dauern –, würde sich so
unauslöschlich in sein Gedächtnis einbrennen wie die Narbe
auf seiner Schulter. Jene Narbe, die er sich selbst beigebracht
hatte, als er die smaragdgrüne Tätowierung entfernte, die
ihn als Besitz eines Menschen auswies.
Vielleicht ginge es auch noch schneller. Und vielleicht brauchte
Clavain nicht allzu sehr zu leiden. Wenn es ihm gelungen war, bei der
Amputation seiner Hand die meisten Schmerzen zu blockieren,
könnte er wohl auch noch stärkere neuronale Barrikaden
errichten, an denen die Qualen, die Skade ihm zufügen wollte,
einfach abprallten.
Aber würde Skade das nicht merken?
»Gehen Sie. Sofort«, sagte er zu Vasko. »Und lassen
Sie sich Zeit.«
»Dann bis später, Sir.« Vor dem Schott blieb Vasko
noch einmal stehen und sah sich um, als wollte er sich die Szene
einprägen. Scorpio erriet, was der Junge dachte. Wenn er
zurückkehrte, würde Clavain nicht mehr unter den Lebenden
sein.
»Mein Sohn«, sagte Clavain, »tun Sie, was er sagt.
Es ist schon gut. Ich weiß Ihre Sorge zu
schätzen.«
»Ich wünschte, ich könnte irgendwie helfen,
Sir.«
»Das können Sie nicht. Nicht hier und nicht jetzt. Das
ist wieder eine von den harten Lektionen in der Schule des Lebens.
Manchmal kann man einfach nicht das Richtige tun. Man muss einfach
fortgehen und an einem anderen Tag weiterkämpfen. Eine bittere
Medizin, mein Sohn, aber früher oder später müssen wir
sie alle schlucken.«
»Ich verstehe, Sir.«
»Ich kenne Sie noch nicht lange, aber doch lange genug, um
mir ein Bild von Ihren Fähigkeiten zu machen. Sie sind ein guter
Mann, Vasko. Die Kolonie braucht Sie und Ihresgleichen. Das sollten
Sie respektieren, und Sie sollten die Kolonie nicht im Stich
lassen.«
»Sir«, sagte Vasko.
»Wenn das vorüber ist, wird Aura wieder unter uns sein.
Sie ist vor allem anderen die Tochter ihrer Mutter. Lassen Sie nicht
zu, dass irgendjemand das vergisst.«
»Jawohl, Sir.«
»Aber sie gehört auch uns allen. Sie ist zunächst
noch sehr zerbrechlich, Vasko. Sie muss beschützt werden, bis
sie herangewachsen ist. Diese Aufgabe übertrage ich Ihnen und
Ihrer Generation. Achten Sie gut auf dieses kleine Mädchen, es
könnte das Letzte sein, worauf es ankommt.«
»Ich werde mich um sie kümmern, Sir.« Vasko sah
Khouri an, als wollte er sie um Erlaubnis dazu bitten. »Wir alle
werden uns um sie kümmern. Ich gelobe es.«
»Das klingt so, als würden Sie es ernst meinen. Ich kann
mich doch auf Sie verlassen?«
»Ich werde mein Bestes tun, Sir.«
Clavain nickte müde und resigniert. Er stand vor einem
Abgrund, dessen Tiefe außer ihm niemand ermessen konnte.
»Mehr konnte auch ich niemals tun. Meistens war es genug. Und
jetzt gehen Sie bitte und grüßen Sie Blood von
mir.«
Vasko setzte noch einmal zum Sprechen an, aber die Worte blieben
ungesagt. Er drehte sich um und verschwand.
»Warum hast du ihn fortgeschickt?«, fragte Scorpio nach
einigen Sekunden.
»Weil ich nicht will, dass er das, was jetzt kommt, mit
ansehen muss.«
»Ich werde so schnell sein, wie sie mich lässt«,
sagte Scorpio. »Ich kann doch so rasch arbeiten wie Jaccottet,
nicht wahr, Skade?«
»Ich gebe das Tempo vor, und
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