Offenbarung
Das Instrument an sich war
unschuldig, doch in diesem Augenblick erschien es ihm wie die
Verkörperung alles Bösen im Universum, sogar das
jungfräuliche Weiß war ein Ausdruck von Feindseligkeit. Er
hielt gigantische Möglichkeiten in seiner Hand. Er konnte das
Instrument nicht so fassen, wie die Hersteller es beabsichtigt
hatten. Trotzdem konnte er gut genug damit umgehen, um schweren
Schaden anzurichten. Für Clavain spielte es vermutlich keine
große Rolle, wie geschickt er arbeitete. Eine gewisse
Ungenauigkeit mochte sogar helfen, den weißglühenden
Schmerz zu dämpfen, den Skade ihm zufügen wollte.
»Wie soll ich mich hinsetzen?«, fragte Clavain.
»Leg dich auf den Rücken«, befahl Skade. »Die
Hände an die Seiten.«
Clavain gehorchte. »Noch etwas?«
»Das liegt bei dir. Für einige letzte Worte wäre
jetzt die richtige Gelegenheit. In ein paar Minuten könnte es
dir schwer fallen.«
»Nur eines«, sagte Clavain.
Scorpio trat näher. Der gefürchtete Augenblick war fast
da. »Was, Nevil?«
»Wenn es vorbei ist, verliert keine Zeit. Bringt Aura in
Sicherheit. Das ist wirklich alles, worauf es mir ankommt.« Er
hielt inne und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. In
seinem spärlichen Bart glitzerten die Eiskristalle. »Aber
wenn es möglich ist und dich nicht allzu sehr belastet,
möchte ich dich bitten, mich auf See zu bestatten.«
»Wo?«, fragte Scorpio.
»Hier«, antwortete Clavain. »So schnell es geht.
Keine Zeremonie. Den Rest erledigt das Meer.«
Skade ließ sich nicht anmerken, ob sie die Bitte gehört
hatte oder sich dafür interessierte. »Fangen wir an«,
sagte sie zu Jaccottet. »Sie tun genau, was ich sage. Ach ja,
Khouri?«
»Ja?«, fragte die Frau.
»Für Sie besteht wirklich kein Anlass, das mit
anzusehen.«
»Sie ist meine Tochter«, sagte Khouri. »Ich
rühre mich nicht von der Stelle, bis ich sie wiederhabe.«
Sie wandte sich an Clavain, und Scorpio hatte den Eindruck, als
fände eine stumme Zwiesprache statt, bei der Dinge von
gewaltiger Tragweite ausgetauscht wurden. Vielleicht war es
tatsächlich so. Immerhin waren sie jetzt beide Synthetiker.
»Es ist gut«, sagte Clavain laut.
Khouri kniete nieder und küsste ihn auf die Stirn. »Ich
wollte nur Danke sagen.«
Hinter ihr begann Skade wieder auf dem Holoklavier zu spielen.
Draußen vor dem Eisberg stand Urton auf dem weißen
Saum, der immer breiter wurde, und sah Vasco so vorwurfsvoll an, als
wäre er ein Kind, das die Schule geschwänzt hatte. »Du
hast dir viel Zeit gelassen«, sagte sie.
Vasko fiel auf die Knie und übergab sich. Die Übelkeit
hatte ihn plötzlich und ohne Vorwarnung überfallen. Danach
fühlte er sich innerlich wie ausgehöhlt.
Urton kniete sich neben ihn auf das Eis. »Was hast du? Was
ist los?«, drängte sie.
Aber er konnte nicht sprechen. Er wischte sich das Erbrochene vom
Kinn. Seine Augen brannten. Er schämte sich und fühlte sich
zugleich befreit, als hätte ihm das qualvolle Eingeständnis
seiner emotionalen Schwäche unerwartete neue Kräfte
verliehen. Als sich das Innerste seines Wesens nach außen
kehrte, hatte er den ersten Schritt in die Welt der Erwachsenen
getan, die Urton und Jaccottet für ihr ureigenes Reich
hielten.
Der Himmel war grau-violett wie ein Bluterguss. Das Meer war
unruhig. Graue Schatten glitten durch die Wellen.
»Sprich mit mir, Vasko«, sagte Urton.
Er rappelte sich mühsam auf. Sein Hals schmerzte, aber sein
Geist war so klar und rein wie eine leere Luftschleuse.
»Hilf mir mit dem Inkubator«, sagte er.
Zweiundzwanzig
p Eridani 40
2675
Die Schlacht tobte in nächster Nähe des
Musterschieberplaneten. Im Herzen der Kämpfe und dicht am
geometrischen Zentrum seines riesigen Schiffs Zodiakallicht saß Remontoire in einer Pose zenartiger Gelassenheit. Sein
Gesichtsausdruck verriet nur mäßiges Interesse am Ausgang
des Geschehens. Seine Augen waren geschlossen; die Hände hielt
er sittsam im Schoß gefaltet. Er wirkte gelangweilt und etwas
zerstreut, wie ein Mann, der in einem Wartezimmer sitzt und vor sich
hin döst.
Remontoire langweilte sich nicht, und er würde auch nicht
einnicken. Langeweile war – ähnlich wie Wut oder Hass oder
der Durst nach Muttermilch – ein Gemütszustand, an den er
sich kaum erinnerte. Er hatte viele Gemütszustände
durchgemacht, seit er vor fast fünfhundert Jahren den Mars
verlassen hatte, darunter einige, die mit den eindimensionalen,
beschränkten Mitteln der menschlichen Standardsprache
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