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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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eine dünne
optische Faser ab und reichte Rachmika das Ende.
    Natürlich. Sichere Kommunikation. Sie nahm die Faser und
steckte sie in den entsprechenden Anschluss ihres Anzugs. Mit solchen
Kabeln ließ sich bei Ausfall des Funkkontakts oder bei
komplettem Netzwerkversagen eine Direktverbindung von Anzug zu Anzug
herstellen. Und sie waren ideal für vertrauliche
Gespräche.
    »Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte Pietr.
    »Ich wüsste gern, wozu wir diese
Mantel-und-Degen-Komödie spielen.«
    »Man kann nie vorsichtig genug sein. Wir hätten besser
gar nicht von den Auslöschungen gesprochen, zumindest nicht
unten im Wagen. Glaubst du, dass uns jemand belauscht hat?«
    »Nachdem du gegangen warst, kam der Quästor und warnte
mich vor dir.«
    »Das wundert mich nicht«, sagte Pietr. »Er ist
selbst nicht religiös, aber er weiß, wo seine Interessen
liegen. Er steht im Sold der Kirchen, also möchte er nicht, dass
irgendjemand mit unorthodoxen Gerüchten Verwirrung
stiftet.«
    »Du hast nun dich nun wirklich nicht für die Abschaffung
der Kirchen ausgesprochen«, gab Rachmika zurück.
»Soweit ich mich erinnere, haben wir uns nur über die
Haldora-Auslöschungen unterhalten.«
    »Schon das erachten gewisse Leute als gefährlich. Aber
was sagst du zu dieser Aussicht – ist sie nicht grandios?«
Pietr drehte sich einmal um sich selbst und unterstrich seine Aussage
mit einer weit ausholenden Gebärde.
    Rachmika lächelte über seine Begeisterung. »Ich
weiß nicht recht. Ich schaue nicht so gern in die
Tiefe.«
    »Ach, komm schon. Vergiss die Auslöschungen, vergiss
deine Nachforschungen – wonach auch immer –, und
genieße diesen Blick. Hier wird dir etwas geboten, was
Millionen von Menschen niemals zu sehen bekommen.«
    »Ich komme mir vor wie ein Eindringling«, sagte
Rachmika. »Als hätten die Flitzer diese Brücke gebaut,
damit man sie bewundert, aber nicht, damit man sie benutzt.«
    »Ich weiß nicht viel über die Flitzer. Ich meine,
wir haben keine Ahnung, wie sie dachten, wir wissen nicht einmal, ob
sie überhaupt die Erbauer waren. Aber die Brücke steht nun
einmal, nicht wahr? Und es wäre doch ein Jammer, sie nicht
wenigstens hin und wieder zu befahren.«
    Rachmika schaute auf den sternförmigen Fleck hinab. »Ist
es wahr, was mir der Quästor erzählte? Hat es
tatsächlich einmal jemand mit einer Kathedrale
versucht?«
    »Es geht das Gerücht. Aber in den ökumenischen
Aufzeichnungen wirst du kein Wort davon finden.«
    Sie packte das Geländer fester und starrte weiter fasziniert
in die Schlucht. »Aber es ist trotzdem wahr?«
    »Es war eine Splittersekte«, sagte Pietr. »Eine
abtrünnige Kirche mit einer kleinen Kathedrale. Sie nannten sich
die Numeriker. Sie waren keiner der ökumenischen Organisationen
angeschlossen und unterhielten auch kaum Handelsbeziehungen zu den
anderen Kirchen. Ihr Glaube war – ungewöhnlich. Es ging
ihnen nicht nur darum, sich von den Lehren der anderen Kirchen
abzusetzen. Zum einen waren sie Polytheisten. Die meisten Kirchen
sind streng monotheistisch und haben starke Bindungen an die alten
Abrahamsreligionen. Ich nenne sie Feuer-und-Schwefel-Kirchen. Ein
Gott, ein Himmel, eine Hölle. Aber die da unten diese
Schweinerei angerichtet haben… sie gingen sehr viel weiter. Sie
waren nicht die einzigen Polytheisten, aber ihre gesamte Weltsicht
– ihre Kosmologie – war so radikal in ihrer Unorthodoxie,
dass es zu keinem interökumenischen Dialog kommen konnte. Die
Numeriker waren strenggläubige Mathematiker. Das Studium der
Zahlen war für sie die höchste Berufung, der einzig
mögliche Zugang zum Göttlichen. Sie glaubten, dass es
für jede Zahlenklasse einen Gott gebe: den Gott der Ganzen
Zahlen, den Gott der Realen Zahlen, den Gott der Null. Und es gab
Untergötter: einen Gott der Irrationalen Zahlen, einen Gott der
diophantinen Primzahlen. Den anderen war das unheimlich. Sie grenzten
die Numeriker aus, und die wurden in ihrer Isolation mit der Zeit
paranoid.«
    »Was unter den Umständen nicht verwunderlich
ist.«
    »Aber das war noch nicht alles. Sie versuchten, die
Auslöschungen mit einigen ziemlich obskuren
Wahrscheinlichkeitstheorien statistisch zu erfassen. Das war nicht so
einfach. Damals gab es noch nicht so viele Fälle, die Daten
waren deshalb spärlicher – aber sie behaupteten, ihre
Verfahren seien robust genug, um auch damit Ergebnisse zu erzielen.
Und was sie entdeckten, war vernichtend.«
    »Weiter«, drängte Rachmika. Jetzt verstand

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