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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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hinein, sondern dich. Du bist in
diesem Monstrum gefangen, Morwenna, und deshalb darfst du nicht
durchdrehen.«
    Sie nahm es besser auf, als er erwartet hatte. Die arme Morwenna
war so tapfer. Sie war schon immer mutiger gewesen als er. Hätte
sie die Wahl gehabt, die Strafe auf sich zu nehmen, sie hätte es
getan. Er besaß diese Seelenstärke nicht. Er war schwach,
feige und egoistisch. Kein schlechter Mensch, aber auch nicht gerade
jemand, der Bewunderung verdiente. Sein ganzes Leben war von seiner
Charakterschwäche geprägt. Die Erkenntnis war nicht leicht
zu ertragen.
    »Heißt das, ich bin im Eis begraben?«, fragte
sie.
    »Nein«, sagte er. »Nein, so schlimm ist es
nicht.« Im gleichen Augenblick begriff er, dass der Unterschied
so gut wie keine Rolle spielte. »Du bist im Ehernen Panzer, aber
nicht im Eis. Und die Strafe gilt nicht dir, sondern mir. Man will
mich unter Druck setzen, damit ich bestimmte Dinge tue.«
    »Wo bin ich denn?«
    »Wir sind alle beide auf der Dominatrix. Wahrscheinlich haben wir soeben die Bremsphase beim Anflug auf
das neue System abgeschlossen.«
    »Ich sehe nichts und kann mich nicht bewegen.«
    Er hatte beim Sprechen den Anzug angesehen und sich vorgestellt,
er hätte sie vor sich. Morwenna gab sich alle Mühe, sich
nichts anmerken zu lassen, aber er kannte sie gut genug. Sie war
außer sich vor Angst. Verlegen wandte er den Blick ab.
»Schiff, kannst du sie sehen lassen?«
    »Der Kanal ist nicht aktiviert.«
    »Verdammt, dann aktivierst du ihn eben!«
    »Das ist nicht möglich. Ich habe Ihnen noch eine
Mitteilung zu machen: Der Insasse kann nur über den derzeit
geöffneten Audiokanal mit der Außenwelt in Verbindung
treten. Jeder Versuch, weitere Kanäle zu öffnen, wird
als…«
    Er winkte ab. »Schon gut. Hör zu, Morwenna, es tut mir
Leid. Die Dreckskerle wollen nicht, dass du etwas siehst. Ich
schätze, das war Greliers Idee.«
    »Er ist nicht mein einziger Feind.«
    »Mag sein, aber ich möchte wetten, dass er so einiges
mitzureden hatte.« Quaiche stand der Schweiß in dicken
Tropfen auf der Stirn. Er wischte ihn mit dem Handrücken ab.
»Das ist alles meine Schuld.«
    »Wo bist du?«
    Die Frage überraschte ihn. »Ich schwebe neben dir. Ich
dachte, du könntest mich durch die Panzerung
hören.«
    »Ich höre deine Stimme nur in meinem Kopf. Sie klingt
weit entfernt. Ich habe Angst, Horris. Ich weiß nicht, wie ich
das durchstehen soll.«
    »Du bist nicht allein«, sagte er. »Ich bin bei dir.
Wahrscheinlich bist du im Panzer sicherer als draußen. Du
brauchst nur abzuwarten. In ein paar Wochen sind wir wohlbehalten
wieder zu Hause.«
    Jetzt war die Verzweiflung in ihrer Stimme nicht mehr zu
überhören. »Ein paar Wochen? Und du tust so, als
wäre das gar nichts.«
    »Ich meine nur, es ist besser als viele Jahre. Mein Gott,
Morwenna, es tut mir so Leid. Ich verspreche dir, ich hole dich da
raus.« Der stechende Schmerz kam prompt. Er verdrehte die
Augen.
    »Horris?«
    »Ja?«, fragte er unter Tränen.
    »Lass mich in diesem Ding nicht sterben. Ich bitte
dich.«
     
    Nach einer Weile sagte er: »Morwenna, hör mir gut zu.
Ich werde dich jetzt allein lassen. Ich muss zum Kommandodeck, um
eine Statuskontrolle durchzuführen.«
    »Ich will nicht, dass du weggehst.«
    »Du kannst meine Stimme auch von dort hören. Es muss
sein, Morwenna. Es geht nicht anders. Wenn ich es nicht tue, haben
wir beide keine Zukunft mehr.«
    »Horris.«
    Er war schon unterwegs. Er hatte sich vom Abbremsbehälter und
vom Ehernen Panzer abgestoßen und schwebte schwerelos durch den
Raum. An der Wand waren gepolsterte Griffe angebracht. Daran zog er
sich Hand über Hand durch den schmalen Gang zum Kommandodeck.
Quaiche hatte sich mit der Schwerelosigkeit nie so recht
angefreundet, aber das Erkundungsshuttle mit seinem nadeldünnen
Rumpf war viel zu klein, um durch Rotation zentrifugale Schwerkraft
zu erzeugen. Es würde besser werden, sobald sie wieder Fahrt
aufnahmen und die Triebwerke der Dominatrix die Illusion von
Schwerkraft vermittelten.
    Unter erfreulicheren Umständen hätte er es genossen,
plötzlich allein und vom Rest der Besatzung getrennt zu sein.
Bei seinen früheren Exkursionen hatte ihn Morwenna nicht
begleitet, und obwohl er sie vermisst hatte, war ihm die erzwungene
Einsamkeit fern der Gnostische Himmelfahrt sehr
entgegengekommen. Quaiche war nicht direkt ein Einzelgänger.
Auch wenn er in der Welt der Standardmenschen kein
Gesellschaftslöwe gewesen war, hatte er sich immer mit

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