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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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steckte gar nicht im
Eisenpanzer, sondern im Abbremsbehälter der Dominatrix und war durch dessen körpernahe Matrix vor den hohen
Drücken der Bremsphase geschützt. Verwirrt und empört
zugleich stellte er sein Summen ein. Natürlich spürte er
auch Erleichterung. Aber er war so übergangslos von der Aussicht
auf jahrelange Qualen in die vergleichsweise angenehme Umgebung der Dominatrix zurückgeworfen worden, dass er keine Zeit
gehabt hatte, die emotionale Anspannung abzubauen. Nun raubten ihm
Schock und Verblüffung den Atem.
    Am liebsten wäre er noch einmal in den Albtraum
zurückgekrochen, um langsamer daraus aufzutauchen.
    »Achtung, Quaiche. Erbitte Anweisung zum Einschießen
ins System.«
    »Warte«, sagte er. Seine Kehle war wund, seine Stimme
zäh wie Gummi. Er musste ziemlich lange in dem
Abbremsbehälter gelegen haben. »Warte. Hol mich zuerst hier
raus. Ich…«
    »Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Quaiche?«
    »Ich bin nur ein wenig durcheinander.«
    »Wie soll ich das verstehen, Quaiche? Brauchen Sie
medizinische Hilfe?«
    »Nein, ich…« Er zögerte. »Hol mich
einfach hier raus. Dann bin ich gleich wieder o. k.«
    Die Fesseln lösten sich. Die Spalten in den Wänden des
Behälters wurden breiter, grelle Lichtspeere schossen herein.
Sein olfaktorisches System registrierte den vertrauten Bordgeruch der Dominatrix. Auf dem Schiff war es fast still, nur gelegentlich
knackte ein abkühlendes Sammelrohr. Es war wie immer, wenn man
nach dem Abbremsen antriebslos im All schwebte.
    Quaiche streckte sich, sein Körper knarrte wie ein alter
Holzstuhl. Er fühlte sich elend, aber längst nicht so elend
wie nach der überstürzten Reanimation aus dem
Kälteschlaf an Bord der Gnostische Himmelfahrt. Im
Abbremsbehälter hatte man ihn nur bis zur Bewusstlosigkeit unter
Drogen gesetzt, die meisten Körperfunktionen waren normal
weitergelaufen. Da er bei Systemerkundungen immer nur ein paar Wochen
in dem Behälter verbrachte, hätten die medizinischen
Risiken beim Einfrieren die Vorzüge überwogen, die der
Königin aus der Verlangsamung seines Alterungsprozesses
entstanden wären.
    Er sah sich um. Noch wagte er nicht zu glauben, dass ihm der
Albtraum des Ehernen Panzers tatsächlich erspart geblieben war.
Vielleicht hatte er ja nach mehreren Monaten im Eis den Verstand
verloren und halluzinierte? Aber die Schiffsatmosphäre war zu
hyperrealistisch für eine Halluzination. Und er konnte sich
nicht erinnern, in der Bremsphase jemals Träume gehabt zu haben
– jedenfalls keine Träume, aus denen er schreiend erwachte.
Doch je länger er darüber nachdachte und je greifbarer die
Realität des Schiffes wurde, desto wahrscheinlicher erschien ihm
diese Erklärung.
    Es war alles nur ein Traum.
    »Mein Gott«, sagte Quaiche. Das Indoktrinationsvirus
bestrafte die Blasphemie wie üblich mit einem stechenden
Schmerz, aber der war so beglückend real, so ganz anders als das
Grauen des Lebendigbegraben-Seins, dass er es gleich noch einmal
wiederholte: »Mein Gott, ich hätte nie gedacht, dass ich das in mir hätte.«
    »Dass Sie was in sich hätten, Quaiche?«
Manchmal fing das Schiff von sich aus ein Gespräch an, als ob es
sich insgeheim langweilte.
    »Schon gut«, sagte Quaiche. Er war mit seinen Gedanken
anderswo. Normalerweise hatte er nach dem Verlassen des
Behälters ausreichend Platz, um sich so zu drehen, dass er sich
am langen, schmalen Hauptgang des kleinen Shuttles ausrichten konnte.
Doch jetzt stieß er dabei mit dem Ellbogen an ein Objekt, das
sonst nicht da gewesen war. Er schaute sich danach um, obwohl er
bereits ahnte, was ihn erwartete.
    Korrodiertes, rußiges Metall so grau wie Zinn, über und
über bedeckt mit einem Gewimmel von feinsten Zeichnungen. Eine
halbwegs menschenähnliche Gestalt mit einem schwarzen
vergitterten Schlitz an Stelle der Augen.
    »Miststück«, sagte er.
    »Ich habe Ihnen folgende Mitteilung zu machen: Der Eherne
Panzer soll Ihnen als Ansporn dienen, sich mit allen Kräften
für den Erfolg dieser Mission einzusetzen.«
    »Das hat man dir tatsächlich einprogrammiert?«
    »Ja.«
    Quaiche sah, dass der Raumanzug an das Lebenserhaltungssystem des
Schiffes angeschlossen war. Von den Steckdosen an der Wand
führten dicke Leitungen zu den entsprechenden Anschlüssen
der Oberfläche. Er streckte die Hand danach aus, strich mit den
Fingern über eine raue Schweißnaht nach der anderen und
zeichnete die Windungen einer Schlange nach. Das Metall fühlte
sich lauwarm an und vibrierte leise von

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