Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
Verstrebungen und Trennwände,
die größer waren als so manches mittlere Raumschiff, ein
knorpeliges Gewirr von Versorgungssystemen, wild wuchernd wie
Kletterranken. Beim Abwurf des schützenden Panzers
fröstelte ihn, als wäre er nun mit nackter Haut der
Kälte des Alls ausgesetzt. Er hatte sein Inneres seit
Jahrhunderten nicht mehr dem Vakuum geöffnet.
    Nun setzte er die Transformationen fort. Teile der
Inneneinrichtung wurden blockweise verschoben wie Dominosteine.
Versorgungsleitungen wurden durchtrennt und neu angeschlossen.
Bereiche des Schiffes, die bisher von anderswoher mit
lebensnotwendiger Energie, mit Luft und mit Wasser versorgt worden
waren, wurden nun autark. Andere ließ er sterben. Der Captain
empfand die Veränderungen wie schweres Bauchgrimmen: Druck und
Kälte, stechende Schmerzen. Dann waren plötzlich alle
Empfindungen tot. Obwohl er es war, der die Umbauten eingeleitet
hatte und sie auch überwachte, kam es ihm vor, als würde er
sich selbst verstümmeln.
    Was er sich jetzt antat, ließ sich nicht so leicht wieder
ungeschehen machen.
    Er sank tiefer und korrigierte seinen Kurs mit leichten
Schubstößen. Das Gravitationsgefälle belastete seine
Rumpfgeometrie und drohte ihn mit weichen Fingern in Stücke zu
reißen.
    Er stürzte weiter. Die Landschaft glitt unter ihm vorbei
– nicht mehr nur Eis und Gletscherspalten, sondern bewohntes
Gebiet mit kleinen Dörfern und einem Netz von
Kommunikationsleitungen. Die Haltebucht gähnte wie ein goldener
Riss am Horizont.
    Geburtswehenartige Krämpfe schüttelten ihn. Alle
Vorbereitungen waren abgeschlossen. In seiner Mitte lösten sich
Teile vom Rumpf, hinterließen saubere geometrische Löcher
und zogen tausende von durchtrennten Leitungen hinter sich her wie
ausgestochene Torfballen ihre bleichen Wurzeln. Der Captain hatte
sich so weit wie möglich betäubt, aber wo Kabel und
Versorgungsleitungen entzweigerissen waren, spürte er immer noch
Phantomschmerzen. So, dachte er, muss es sich
anfühlen, wen man verwundet wird. Aber er hatte den Schmerz
erwartet und war dafür bereit. Irgendwie fand er ihn sogar
erfrischend. Er erinnerte ihn daran, dass er noch lebte und seine
bewusste Existenz einmal als Mensch aus Fleisch und Blut begonnen
hatte. Solange er Schmerzen empfand, konnte er sich immer noch als
Mensch fühlen.
    Die zwanzig Rumpfabschnitte leisteten der Sehnsucht nach
Unendlichkeit noch für einen Moment Gesellschaft, doch
sobald sie den nötigen Sicherheitsabstand voneinander erreicht
hatten, flammten winzige Steuerraketen auf und trugen sie fort. Die
Raketen waren nicht stark genug, um sie dem Einfluss von Helas
Schwerkraft vollends zu entziehen, aber sie konnten sie zurück
in die Umlaufbahn bringen. Dort waren sie auf sich allein gestellt.
Der Captain hatte für seine achtzehntausend Schläfer getan,
was er konnte – viele von ihnen hatte er von Ararat bis hierher
gebracht, einige hatte er vor Yellowstone aufgelesen –, aber
jetzt waren sie außerhalb von ihm besser aufgehoben.
    Er konnte nur hoffen, dass jemand kommen und sich ihrer annehmen
würde.
    Der Haltebucht war inzwischen deutlich größer geworden.
In den Tiefen der Grube machten sich Schlitten und Arme bereit, die
Reste des ausgeschlachteten Lichtschiffs zu umschließen.
     
    »Was wollen Sie mit dem Ehernen Panzer?«, fragte
Quaiche.
    »Ich möchte ihn mitnehmen«, erklärte Rachmika
mit einer Heftigkeit, die sie selbst überraschte. »Er soll
nicht auf der Morwenna bleiben.«
    Vasko sah erst Khouri und dann Rachmika an. »Hast du dein
Gedächtnis jetzt wieder gefunden?«, fragte er. »Ich
erinnere mich an mehr als zuvor«, sagte sie, an ihre Mutter
gewandt. »Es kommt allmählich zurück.«
    »Was bedeutet Ihnen eigentlich diese Frau?«, erkundigte
sich Quaiche.
    »Sie ist meine Mutter«, sagte Rachmika. »Und ich
heiße auch nicht Rachmika. Das war der Name der Tochter, die
meine Pflegeeltern verloren hatten. Es ist ein guter Name, aber es
ist nicht der meine: Mein wirklicher Name lautet anders, aber er ist
mir noch nicht wieder eingefallen.«
    »Du heißt Aura«, sagte Khouri.
    Rachmika spürte dem Namen nach, dann sah sie ihre Mutter fest
an. »Ja. Jetzt weiß ich es wieder. So hast du mich
früher genannt.«
    »Ich hatte also Recht, was das Blut anging«, sagte
Grelier und konnte ein Grinsen der Genugtuung nicht
unterdrücken.
    »Ja, Sie hatten Recht«, sagte Quaiche. »Zufrieden?
Aber Sie haben sie hierher gebracht, Generalmedikus. Sie haben uns
die Schlange ins Nest

Weitere Kostenlose Bücher