Offenbarung
geblieben und
hätte jemand anderen nach Hela geschickt.
Scheiß drauf, dachte Scorpio.
Er kontrollierte ein letztes Mal die Anzeigen auf dem Helmdisplay.
Alles im grünen Bereich. Sinnlos, sich weiter verrückt zu
machen: Der Anzug war in Ordnung, oder er war es nicht, und wenn der
ihn nicht tötete, dann lauerte hinter der nächsten Ecke
sicher eine andere Gefahr.
Stöhnend vor Schmerz drehte er sich um und löste die
Verriegelung der Ausstiegsklappe. Die Tür fiel ab und landete
lautlos im Matsch. Scorpio spürte ein leichtes Ziehen, als die
Luft aus der Kabine entwich. Der Anzug schien dicht zu sein: Keines
von den grünen Lichtern hatte auf Rot umgeschaltet.
Gleich darauf stand er draußen auf dem Eis: eine
stämmige Gestalt, nur so groß wie ein Kind, in einem
metallicblauen Spezialanzug für Schweine. Er watschelte zum Heck
des Schiffes, öffnete, jede Berührung mit den kirschrot
glühenden Abgasöffnungen vermeidend, ein Frachtabteil,
streckte mit gequältem Grunzen die Arme hinein und tastete mit
den klobigen, zweifingrigen Handschuhen umher. Fingerfertigkeit war
ohnehin nicht die starke Seite von Hyperschweinen, und wenn man sie
auch noch in einen Raumanzug steckte, waren sie etwa so geschickt wie
Baumstümpfe. Aber Scorpio hatte geübt. Er hatte ein Leben
lang Zeit gehabt.
Endlich zog er aus dem Fach eine Palette von der Größe
eines Speisetabletts. Darin steckten, ausgepolstert wie
Fabergé-Eier, drei Blasenminen. Eine davon nahm er heraus,
fasste sie sehr behutsam mit zwei Händen – obwohl eine
Blasenmine ganz sicherlich nicht versehentlich losgehen würde
– und entfernte sich damit von der Fähre.
Er ging nur hundert Schritte weit: Das genügte, um
sicherzustellen, dass die Mine nicht mit den Abgasen des Schiffes in
Berührung kam. Dann kniete er nieder und schnitt mit Clavains
Piezomesser eine kegelförmige Grube in die Eisschicht. In dieses
Loch drückte er die Mine so tief wie möglich hinein. Als er
die geriffelte Scheibe an der Oberseite um dreißig Grad drehen
wollte, rutschte er mit den Handschuhen immer wieder ab. Aber
irgendwann hatte er es doch geschafft. Die Scheibe rastete klickend
ein. Ein kleines rotes Licht leuchtete auf. Die Mine war scharf.
Scorpio erhob sich.
Da fiel ihm plötzlich auf, dass sich das Licht verändert
hatte. Er stutzte und schaute zu Haldora empor. Der Gasriese war
nicht mehr da; dafür hing über ihm ein Mechanismus, der
einen sehr viel kleineren Himmelsabschnitt verdeckte und aussah wie
ein kosmologisches Diagramm aus dem Mittelalter, ein Kunstwerk,
entstanden in einem Augenblick visionärer Verzückung. Es
war ein geometrisches Raster aus vielen feinsten Teilen. An der
Peripherie waren noch deutlich einzelne Knoten zu erkennen, von denen
strahlenförmig glitzernde Stäbe ausgingen. Zur Mitte hin
überkreuzten sich diese Stäbe wieder und wieder, und
irgendwann wurde die Struktur so dicht, dass das Auge sie nicht mehr
zu fassen vermochte. Sie zu beschreiben oder gar sich
einzuprägen, war vollends unmöglich. So blieb ihm nur der
Eindruck Schwindel erregender Komplexität, ein Blick in das
Uhrwerk des göttlichen Geistes. Er bekam Kopfschmerzen davon,
eine Migräne meldete sich mit typischem Kribbeln und Flimmern.
Es schien fast, als wollte das Ding nicht, dass er es länger
betrachtete.
Er wandte sich ab, stapfte mit gesenktem Kopf zum Schiff
zurück, verwahrte die restlichen beiden Minen wieder im
Frachtabteil und stieg ein. Die Ausstiegsklappe ließ er liegen.
Es lohnte sich nicht, das Schiff neu zu belüften: Er musste sich
auf den Raumanzug verlassen.
Die Fähre hob mit einem Satz ab. Durch die Öffnung im
Rumpf sah er die Oberfläche der Brücke zurückfallen,
bis auch die Seiten in Sicht kamen. Darunter gähnte die
Absolutionsschlucht. Schwindel erfasste ihn. Auf der Brücke
hatte er sich so sehr mit der Mine beschäftigt, dass er
verdrängt hatte, wie weit es in die Tiefe ging.
Das würde ihm beim nächsten Mal wohl nicht mehr
gelingen.
Die Haltebucht war bereit für die Aufnahme der Sehnsucht
nach Unendlichkeit. Das Schiff – oder was davon noch
übrig war – war jetzt ganz nahe. Nach dem Verlassen des
Orbits hatte der Captain eine Reihe von letzten Transformationen an
sich vorgenommen, um die zu schützen, die seiner Obhut
anvertraut waren, ohne Aura dadurch in irgendeiner Weise zu
gefährden. Er hatte im Mittelbereich große Abschnitte der
Rumpfverkleidung abgestoßen und sein unüberschaubar
komplexes Innenleben freigelegt:
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