Offenbarung
Die Begegnung mit
Clavain würde ein Randereignis bleiben, und Vasko würde
bald lernen, die Geschehnisse des heutigen Tages nicht
überzubewerten.
»Es könnte manches erleichtern«, sagte Vasko
zögernd mit Blick auf Scorpio. »Wir brauchen Sie, Sir.
Besonders wenn sich tatsächlich alles ändert.«
»Wovon wir meiner Meinung nach ausgehen können«,
sagte Clavain und schenkte sich ein Glas Wasser ein.
»Dann kommen Sie mit uns zurück, Sir. Wenn die Person in
der Kapsel wirklich Ihr Freund Remontoire ist, würde er dann
nicht erwarten, dass Sie anwesend sind, wenn wir ihn
herausholen?«
»Er hat Recht«, sagte Scorpio. »Wir brauchen dich,
Nevil. Ich brauche dein Einverständnis, die Kapsel zu
öffnen, anstatt sie einfach im Meer zu versenken.«
Clavain schwieg. Wieder rüttelte der Wind an den Stangen. Das
Licht im Zelt war in der letzten Stunde milchig trüb geworden,
die Helle Sonne verschwand hinter dem Horizont. Scorpio fühlte
sich wie so oft am Abend erschöpft und abgekämpft. Und er
fürchtete sich vor der Rückfahrt, denn jetzt war sicherlich
mit rauerer See zu rechnen.
»Wenn ich zurückkomme…«, begann Clavain und
hielt inne, um einen Schluck zu trinken. Bevor er weitersprach,
benetzte er sich mit der Zunge die Lippen. »Es wird nichts
ändern, wenn ich mit euch komme. Ich hatte einen bestimmten
Grund, mich hierher zurückzuziehen, und dieser Grund besteht
nach wie vor. Ich habe die feste Absicht, mich wieder hier
niederzulassen, sobald diese Geschichte erledigt ist.«
»Ich verstehe«, sagte Scorpio, obwohl er sich etwas
anderes erhofft hatte.
»Gut, ich meine es nämlich ernst.«
»Aber zunächst fährst du mit uns und beaufsichtigst
die Öffnung der Kapsel?«
»Gut. Aber nur das und nicht mehr.«
»Du wirst immer noch gebraucht, Clavain. Auch wenn es dir
schwer fällt, stiehl dich nicht aus der Verantwortung, nachdem
du so viel für uns getan hast.«
Clavain warf sein Wasserglas zu Boden. »Was habe ich denn
für euch getan? Ich habe euch in einen Krieg hineingezogen, euer
Leben zerstört und euch quer durch den Weltraum auf ein elendes
Dreckloch von einem Planeten verschleppt. Ich bin nicht der Meinung,
dass mir jemand dafür dankbar sein müsste, Scorpio. Ich
wäre schon froh, wenn man so gnädig wäre, mir zu
vergeben.«
»Aber die Leute haben das Gefühl, in deiner Schuld zu
stehen. Wir alle denken so.«
»Er hat Recht«, sagte Vasko.
Clavain öffnete eine Schublade seines Klapptisches und zog
einen halbblinden Spiegel mit zerkratzter Oberfläche heraus, der
schon sehr alt sein musste.
»Kommst du nun mit?«, drängte Scorpio.
»Ich mag alt und müde sein, Scorpio, aber hin und wieder
gelingt es der Welt doch noch, mich zu überraschen. Meine
langfristigen Pläne haben sich nicht geändert, aber ich
gebe zu, dass ich gerne wissen möchte, wer in dieser Kapsel
steckt.«
»Schön. Wir können fahren, sobald du deine Sachen
gepackt hast.«
Clavain brummte etwas Unverständliches und schaute in den
Spiegel. Scorpio sah erstaunt, wie er heftig zurückfuhr. Es sind
die Augen, dachte das Schwein. Clavain hatte sich zum ersten Mal seit
Monaten selbst in die Augen gesehen, und was ihm entgegenschaute,
gefiel ihm nicht.
»Ich werde sie alle zu Tode erschrecken«, sagte
Clavain.
107 Piscium
2615
Quaiche stellte sich vor den Ehernen Panzer. Nach dem langen
Aufenthalt im Abbremsbehälter taten ihm wie üblich alle
Knochen weh, und jeder Muskel in seinem Körper flüsterte
seinem Gehirn eine dumpfe Beschwerdelitanei zu. Doch diesmal nahm er
das kaum wahr, denn er war vollauf mit anderen Dingen
beschäftigt.
»Morwenna«, sagte er. »Bist du wach? Kannst du mich
hören?«
»Ich bin hier, Horris.«Sie klang benommen, schien aber
halbwegs wach zu sein. »Was ist passiert?«
»Wir sind am Ziel. Das Schiff hat uns auf sieben AE an den
großen Gasriesen herangebracht. Ich war vorn, um mich
umzusehen. Der Blick aus dem Cockpit ist wirklich einmalig. Ich
wünschte, du könntest mitkommen.«
»Ich auch.«
»Man sieht die Stürme in der Atmosphäre, die
Blitze… die Monde… einfach alles. Verdammt, es ist einfach
eine Pracht.«
»Du bist ja ganz aufgeregt, Horris.«
»Wieso?«
»Ich höre es an deiner Stimme. Du hast etwas entdeckt,
nicht wahr?«
Er sehnte sich danach, den Ehernen Panzer zu berühren, seine
Metalloberfläche zu streicheln und sich vorzustellen, es
wäre Morwenna.
»Ich weiß nicht, was es ist, aber ich halte es für
so wichtig, dass wir eine Weile hier
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