Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
die Karawane zuerst. Sie kroch einen halben
Kilometer vor ihnen über die gleiche Piste, der auch sie
folgten, wurde aber von einer Reihe niedriger Eisschollen noch halb
verdeckt. Verglichen mit Crozets Fahrzeug schien sie sich sehr
langsam zu bewegen, doch als sie näher kamen, wurde Rachmika
klar, dass dieser Eindruck trog: Die Fahrzeuge der Karawane waren nur
viel größer, und deshalb wirkten ihre Bewegungen so
schwerfällig.
    Die Karawane bestand aus vielleicht vier Dutzend Wagen und war
fast einen Viertel Kilometer lang. Die Wagen bewegten sich in zwei
Kolonnen dicht nebeneinander, wobei die Lücke zwischen dem Ende
des einen und dem Anfang des nächsten Fahrzeugs nur gut ein bis
zwei Meter betrug. Rachmika fand keine zwei Wagen, die in ihrem
Aussehen völlig übereinstimmten, obwohl man einigen ansah,
dass sie ursprünglich baugleich gewesen waren, bevor ihre
Besitzer Umgestaltungen vorgenommen, Stücke abgeschlagen oder
sie anderweitig misshandelt hatten. Die Aufbauten waren nach und nach
planlos hinzugefügt und mit Gerüsten abgestützt
worden. An jeder freien Stelle waren kirchliche Symbole
aufgesprüht, oft kündeten ganze Ketten von Emblemen von den
wechselnden Bündnissen zwischen den großen Konfessionen.
Auf den Dächern vieler Fahrzeuge waren riesige Schrägen
angebracht, die von blitzenden Kolben genau im gleichen Winkel
gehalten wurden. Aus hunderten von Abzugsöffnungen zischte
Dampf.
    Die meisten Karawanenfahrzeuge fuhren auf sechs oder acht
Rädern, von denen jedes so groß war wie ein Haus. Einige
wenige schleppten sich auf Raupenketten oder auf mehreren paarweise
angeordneten Gelenkbeinen dahin. Einige bewegten sich wie Crozets
Eisjammer in rhythmischen Schwüngen auf Skiern. Ein Wagen kroch
mit wellenförmigen Bewegungen seines segmentierten Fahrgestells
wie eine Schnecke vorwärts. Bei manchen konnte Rachmika gar
nicht erkennen, wie sie angetrieben wurden. Doch trotz dieser
Unterschiede waren die Bewegungen so präzise koordiniert, dass
man die Abstände zwischen den Wagen mit Gehwegen und Tunneln
überbrückt hatte. Wenn diese Lücken um Zentimeter oder
Dezimeter kleiner oder größer wurden, dann dehnten oder
bogen sich die Brücken mit lautem Knarren, aber sie brachen
nicht, und sie wurden auch nicht zerdrückt.
    Crozet setzte sich mit seinem Eisjammer neben die Karawane –
die Piste war gerade breit genug – und schob sich langsam daran
vorbei. Die polternden Räder waren höher als das kleine
Fahrzeug. Rachmika beobachtete Crozets Hände an den
Steuerknüppeln nicht ohne Nervosität. Ein leichtes Zucken
des Handgelenks, ein Augenblick der Unaufmerksamkeit, und diese
Räder würden sie zermalmen. Aber Crozet wirkte so ruhig,
als hätte er dieses Manöver schon hundertmal
durchgeführt.
    »Was suchen Sie?«, fragte Rachmika.
    »Den Königswagen«, antwortete Crozet leise.
»Das Empfangsbüro – die Stelle, wo die Karawane ihre
Geschäfte tätigt. Normalerweise fährt er irgendwo an
der Spitze. Aber das ist ein ziemlich langer Zug. So einen habe ich
seit Jahren nicht mehr gesehen.«
    »Ich bin beeindruckt«, sagte Rachmika und schaute zu
einem fahrenden Maschinenturm auf, der den kleinen Jammer weit
überragte.
    »Lass dich nicht zu sehr einschüchtern«, sagte
Crozet. »Eine Kathedrale – eine richtige Kathedrale –
ist noch um einiges größer. Kathedralen sind langsamer,
aber auch sie halten nie an. Das wäre gar nicht so einfach, etwa
so, als wollte man einen Gletscher anhalten. Diese Mutterschiffe
machen sogar mich unruhig. Wäre nicht halb so schlimm, wenn sie
nicht fahren würden…«
    »Da ist der König«, sagte Linxe und zeigte durch
die Lücke zwischen dem ersten und dem zweiten Paar. »Da
drüben, Liebster. Du musst die Seite wechseln.«
    »Verdammt. Das habe ich nicht so gern.«
    »Geh auf Nummer Sicher und komm von hinten.«
    »Nein.« Crozet ließ seine abscheulichen Zähne
aufblitzen. »Man muss auch mal ein bisschen Mumm
beweisen.«
    Crozet gab vollen Schub, und Rachmika wurde heftig in den Sitz
gepresst. Sie glitten an der Kolonne vorbei, überholten ein
Fahrzeug nach dem anderen, obwohl sie nicht allzu viel schneller
waren. Rachmika hatte gedacht, die Karawane würde sich wie fast
alles auf Hela lautlos bewegen. Sie konnte sie auch nicht direkt
hören, aber sie konnte sie spüren – ein Grollen
unterhalb der Hörschwelle, ein Chor aus verschiedenen
akustischen Elementen, der durch das Eis, die Skier, die komplizierte
Federung des Eisjammers bis zu ihr übertragen

Weitere Kostenlose Bücher