Oh Happy Dates
mit meiner übersinnlichen Wahrnehmung die Gedanken eines achtzehnjährigen Jungen erfassen, Heroin schnupfen und es ihm dann besorgen.
An meiner Tür wird leise geklopft. Ich sage nichts, denn normalerweise platzt Simon herein, ehe ich die Chance dazu bekomme. Heute macht er das allerdings nicht.
»Komm rein!«
Simon schiebt den Kopf durch die Tür und sieht mich an. Irgendwie sieht er anders aus. Benennen könnte ich es allerdings nicht. Vielleicht liegt es daran, dass er schweigt.
»Alles in Ordnung mit dir?«, frage ich ihn leise. Er nickt.
»Ja.« Seufzend kommt er in mein Zimmer und setzt sich ans Fußende meines Betts.
»Möchtest du mit reinkommen?«, frage ich ihn und halte einladend die Decke hoch.
»Wie, in diese stinkende Höhle? Das soll wohl ein Scherz sein!« Er ringt sich ein Lächeln ab, was ich mit Erleichterung registriere.
Ich stecke meinen Kopf unter die Decke und schnüffle. »Hier riecht’s nach Rosen, du Blödmann«, lasse ich ihn wissen.
Er nimmt meine Dose Lufterfrischer vom Nachttisch, besprüht mich und die Decke damit und schlüpft dann voll bekleidet zu mir ins Bett.
»Erzähl mir was«, fordere ich ihn auf.
Er seufzt.
»Also, das Cocktailgeschäft läuft gut. Wer hätte gedacht, dass Alkohol in Penisform die Welt im Sturm erobert, hm? Erst heute Morgen habe ich einen Vertrag für die Belieferung einer riesige Sexshopkette unterzeichnet. Ich denke, ich werde es mir bald leisten können, mit ein paar Kindern von der Schule am Ende der Straße eine Pilotreise nach Brasilien zu machen. Es ist ein Riesenunternehmen, Sare. Und endlich könnte ich es mir auch einmal leisten, Ruth zum Essen auszuführen oder vielleicht sogar einen Urlaub …«
»Warum gehst du nicht zu ihr mit Blumen und Tränen und hältst ihr ein Ständchen? Wenn du sie anflehst, will sie dich sicherlich zurückhaben.«
»Sare, die Sache ist doch die, sie hat nie an mich geglaubt, und das kann ich ihr nicht verzeihen.«
»Mein Gott, das ist ja wie in einer griechischen Tragödie. Da kann man nur hoffen, dass sie sich nicht vor Kummer verzehrt und wahnsinnig wird oder ihr Haar in Brand steckt, nachdem deine Geschäfte jetzt so erfolgreich laufen.«
Simon sieht mich eine Sekunde lang an.
»Deine Fantasie geht manchmal mit dir durch, Sare.
Apropos, ich habe deinen Blog nicht angerührt, ist das klar?«
»Ja, ich weiß, aber wer soll es denn sonst getan haben?«
»Keine Ahnung«, meint er achselzuckend. »Egal, was ist das denn?«, fragt er und hebt das Skript für mein Vorsprechen vom Boden auf.
Seufzend erwidere ich: »Oh, ich habe morgen ein Vorsprechen für die Rolle einer heroinabhängigen Prostituierten mit übersinnlichen Fähigkeiten. Aber viel wichtiger ist es mir eigentlich herauszufinden, wer meinen Blog aus dem Netz genommen hat, den Übeltäter dann umzubringen und wieder zu bloggen.«
Simon zieht eine Grimasse und springt aus dem Bett.
»Siehst du! Das ist es! Das ist es! Das ist genau der Grund, weshalb ich deinen blöden Blog langsam hasse! SARAH!«, ereifert er sich. Ich weiß, dass er sauer ist, denn:
1. Er nennt mich Sarah.
2. Er schreit, als stünden wir bei einem Heavy-Metal-Konzert neben den Lautsprechern und ich trüge über meinen Ohren ein Stirnband wie Axl Rose.
Schreien und Auseinandersetzungen sind mir zuwider, aber ich muss etwas erwidern.
»KEIN GRUND ZU BRÜLLEN!«, schreie ich ihn in derselben Lautstärke an.
»Herrgott! Du hast dir doch nichts sehnlicher gewünscht, als endlich mal für eine starke Rolle wie diese vorsprechen zu dürfen, Sare! Und jetzt, da sich dir diese Chance bietet, redest du von nichts anderem als deinem blöden Blog. Steh auf! STEH AUF!«, schreit er und zerrt mich aus dem Bett. »So, jetzt zieh dir was Nuttiges an, Vorsprechübung im Wohnzimmer in zehn Minuten.«
Ich öffne den Mund, um zu protestieren. Er bringt mich zum Schweigen.
»MACH ES EINFACH!«
In einem kurzen schwarzen Kleid betrete ich das Wohnzimmer. Simon sieht mich lange an.
»Sarah! Du sollst im Sexgewerbe arbeiten. Du hingegen siehst aus, als würdest du Beerdigungen organisieren. Zieh diese Schwesternuniform aus PVC an!«
»Si!«, flehe ich.
»Ich bin heute nicht Si, ich bin dein Regisseur. Ich möchte Denzel genannt werden.«
»Denzel?«
»Zieh die Schwesternklamotten an und komm wieder hierher!«
Als ich zurückkomme, sitzt er auf einer Kiste Cocktails und trägt seinen selbstklebenden Schnurrbart, einen rosa Schal, den ich immer anlege, wenn ich versuche,
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