Ohne jede Spur
«Sie tragen also immer noch denselben Anzug wie gestern?», fragte sie betont beiläufig.
«Nein, natürlich habe ich vor meinem Aufbruch schnell noch ein paar Sachen gepackt», erklärte der Richter. «Mir war klar, dass ich eine Weile unterwegs sein würde.»
«Verstehe. Sie haben das Foto Ihrer Tochter im Fernsehen gesehen, sind nach Hause gefahren, um zu packen und vielleicht auch ein paar Dinge in Ordnung zu bringen –»
«Dafür sorgt meine Haushälterin, Ma’am. Ich habe sie von unterwegs angerufen und gebeten, meinen Koffer zu packen.»
«In welchem Hotel wohnen Sie?»
«Im Ritz-Carlton. Vorzüglich, wenn Sie mich fragen, vor allem das Angebot zur Teestunde.»
D. D. blinzelte mit den Augen. Vielleicht musste man aus den Südstaaten kommen, um bei der Hotelwahl ein solches Kriterium in Betracht zu ziehen. «Mit welcher Fluglinie sind Sie gekommen?»
«Delta.»
«Flugnummer? Wann sind Sie gelandet?»
Maxwell warf ihr einen brüskierten Blick zu und gab widerwillig Auskunft. «Warum fragen Sie das?»
«Reine Routine», antwortete sie. «Erinnern Sie sich an die alte Krimiserie
Dragnet
? In der es immer so schön hieß: ‹Fakten, Fakten, Fakten, Ma’am›?»
Er strahlte. «Das war meine Lieblingsserie.»
«Na bitte. Die Bostoner Polizei tut alles, um ihrer Klientel zu gefallen.»
«Kommen wir jetzt endlich auf meinen Schwiegersohn zu sprechen? Es gibt da einiges, das Sie wissen sollten –»
«Alles zu seiner Zeit», unterbrach D. D. höflich, aber bestimmt. Am Kopfende des Tisches jonglierte Miller seinen Kugelschreiber mit den Fingern und lenkte Maxwells Aufmerksamkeit auf sich.
«Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Tochter Sandra gesprochen?», fragte D. D.
Maxwell schien einen Moment lang abgelenkt zu sein. «Oh, ähm, vor Jahren. Sandra ruft nicht gern an.»
«Haben Sie denn selbst nie zum Hörer gegriffen?»
«Nun, wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ja, zwischen uns herrscht Funkstille, seit sie sich abgesetzt hat. Meine Tochter war erst achtzehn, viel zu jung, um sich einem Mann wie Jason anzuschließen, und das habe ich ihr auch gesagt.» Black seufzte. «Leider war sie immer schon sehr eigensinnig. Sie ist bei Nacht und Nebel durchgebrannt, und ich warte seitdem auf einen Anruf oder zumindest eine Postkarte. Vergebens.»
«Haben Sie damals keine Vermisstenanzeige aufgegeben?»
«Nein, Ma’am. Ich wusste schließlich, dass sie mit diesem Mann durchgebrannt ist. So etwas zu tun sah ihr durchaus ähnlich.»
«Ach? War sie schon einmal davongelaufen?»
Black errötete ein wenig. «Aufmerksame Eltern kennen die Schwächen ihrer Kinder», erklärte er spröde. «Meine Tochter – nun ja, der Tod ihrer Mutter hat ihr sehr zugesetzt. Sie wurde rebellisch, fing an zu trinken, machte die Nacht zum Tage. Sie war ein sehr … umtriebiges Mädchen.»
«Sie meinen, in sexueller Hinsicht», klärte D. D.
«Ja, Ma’am.»
«Wie sind Sie dahintergekommen?»
«Sie hat kein Hehl daraus gemacht. Wenn sie am frühen Morgen wieder auftauchte, roch sie nach Zigarettenrauch,Alkohol und Sex. Ich war selbst einmal Teenager, Sergeant. Ich weiß, was in diesem Alter abgeht.»
«Wie lange ging das so?»
«Als ihre Mutter starb, war sie fünfzehn.»
«Wie ist Ihre Frau gestorben?»
«An einem Herzinfarkt», antwortete Black und hielt plötzlich inne. Er warf einen Blick auf Miller, der immer noch seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern rotieren ließ, wandte sich dann wieder D. D. zu und sagte: «Verzeihung, ich muss mich korrigieren. Die Geschichte mit dem Infarkt haben wir so oft erzählt, dass sie uns selbst gar nicht mehr falsch vorkommt. So ist das manchmal mit ständig wiederholten Unwahrheiten. Aber Sie sollten wissen: Meine Frau, Sandras Mutter, hat Selbstmord begangen. Sie starb an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Sandra fand ihre Leiche in unserer Garage.»
«Ihre Frau hat sich zu Hause umgebracht?»
«In ihrem eigenen Cadillac.»
«Litt sie an Depressionen?»
Er schien wieder einen Moment lang zu zögern. «Meine Frau hat getrunken, mehr, als sie vertragen konnte. Nun, ich hatte, wie Sie vielleicht verstehen, einen sehr anstrengenden Job und vermute, dass sie sich vernachlässigt fühlte.»
«Hatte Ihre Frau ein gutes Verhältnis zu Sandra?»
«Sie war vielleicht nicht die perfekte Mutter, versuchte aber immer, ihr Bestes zu geben.»
«Und Sie?»
«Wie gesagt, ich hätte vielleicht weniger arbeiten undmich mehr um sie kümmern sollen. Jedenfalls
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