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Ohne Netz

Ohne Netz

Titel: Ohne Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Rühle
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Die Erwachsenen leiden ja meist auch darunter, dass sie selbst nur noch daherreden wie ein Leitzordner voller alter Rechnungen. Wir haben Sehnsucht, aber wissen gar nicht richtig, wonach.
    Als ich N. am nächsten Tag abholte, sagte ich: »Ob wir heute wieder den lieben Gott treffen?« Er schaute mich mitleidig an und sagte: »Aber Papa, es ist doch noch hell. Der arbeitet noch am Computer.
    15. JANUAR
    Wenn man einen Gefangenen in einem bayerischen Gefängnis besucht, muss man vorher ausnahmslos alles, was man dabeihat, in einen Stahlschrank einsperren. »Auch Stift und Papier?« »Alles!« sagt die strenge Frau hinterm schusssicheren Glasfenster durchs Mikrofon. Ich denke, du mich auch, lass mein Notizheft und den Stift in der Hosentasche, sperre Jacke und Tasche ein und warte, dass die Sicherheitsbeamtin mir von ihrer Pforte aus per Knopfdruck die Tür in den Warteraum öffnet. In diesem Raum, der mit seinen zwei ferngesteuerten Türen als Schleuse funktioniert, warten außer mir zwei Frauen, die eine mit recht dunklem Migrationshintergrund, die andere eine resolute Oberbayerin. Die beiden tauschen sich kurz über die Gefangenen aus, die sie jeweils besuchen.
    »Isse Bruder.«
    »Bei mir is’ der Sohn.«
    »Isse scheise.«
    »Des kannst laut sagen. Riesenscheiße.«
    »Ganze Lebe scheise.«
    In einem Regal werden Töpferwaren der Gefangenen angeboten. Ein Frosch, eine Eule, man kann die Sachen kaufen.
    »Schreibe nich gut.«
    Es gibt auch Holzzeug, ein Buchstabenpuzzle, Schlüsselanhänger, ich notiere mir die Preise.
    »Schreibe nich gut.«
    Die Frau hat mit mir geredet. Die Bayerin springt ihr bei:
    »Des Heftl dad I fei einsperren. San streng hier.«
    Ich schau durch die Glastür zur Pforte rüber, die Vollzugsbeamtin scheint mich tatsächlich streng zu mustern. Ich gehe wieder raus, sperre gehorsam Stift und Heft ein und werde mir nachher von den müde dreinschauenden Sicherheitsbeamten im Besucherraum alle zehn Minuten ein paar Zettel erbetteln, die sie von einem winzigen Bestellblock der Firma Goldmännchen-Tee abreißen.
    Thomas Mohol ist ein freundlicher 33-jähriger Mann, der eine melancholische Coolness ausstrahlt, während er in den Gefängnishof rausschaut und sagt, es sei schon richtig, dass er im Gefängnis sei, Steuerhinterziehung und Betrug seien nun mal nicht das Kavaliersdelikt, das viele darin sehen. Mohol hat ein hageres Gesicht und ist, soweit man das durch ein ausgewaschenes Sweatshirt ausmachen kann, ziemlich durchtrainiert. Als er meinen Blick wahrnimmt, entschuldigt er sich für seine Anstaltsarbeitskleidung, der zernüffelte Pulli, die schweren Schuhe, der Blaumann, und ich schäme mich im Moment seiner Entschuldigung, mich nicht per Brief angekündigt, sondern ihn quasi überfallen zu haben.
    Unser ganzes Gespräch hat etwas seltsam Getriebenes. Wir sitzen zwar an einem der klobig schweren Furniertische, aber es fühlt sich an, als stünden wir gemeinsam auf unerbittlichem Treibsand, schließlich hat Mohol nur zwei Stunden Besuchzeit im Monat, eine Stunde davon schenkt er mir gerade, um Punkt elf werden die Vollzugsbeamten mich, die Bayerin und die Frau, die ganze Lebe scheise findet, wieder rausschmeißen. Einiges, was ich hier berichte, hat Mohol gar nicht an diesem Vormittag gesagt, sondern ein paar Wochen später, in einem Münchner Café, als er Freigang hatte. Er trug da chice Kleidung, schwarze Krawatte, dazu eine Schiebermütze, und die Mitesser am Tisch bekamen riesige Ohren, starrten stumm auf ihre Samstagnachmittagskuchen und versuchten das Kauen einzustellen, um ihm besser zuhören zu können. Ist ja auch interessant, wann bekommt man schon mal Häftlingsalltag geschildert: »In den sogenannten Zugangszellen sitzt man erst mal mit fünf bis sieben anderen Häftlingen. Einer war ein BTMG’ler.« Ein was? »Einer, der gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hat. Das war hart, den auf Entzug zu erleben. Man möchte, dass das aufhört, das Zittern, das Schreien, aber kann nichts machen.«
    Mohols eigener Entzug setzte zeitverzögert ein. Es begann mit rasender Nervosität, besonders morgens und abends. Er dachte zunächst, diese zermürbende Rastlosigkeit sei eine Reaktion auf das Gefängnis. »Bis ich eines Morgens merkte: Es ist nicht die Haft, es ist der Blackberry-Entzug. Früher begann mein Tag damit, dass ich, noch im Bett, vorm Kaffee, vor der ersten Zigarette, schlaftrunken Mails checkte und auf Facebook schaute, ob noch jemand geschrieben hat in der Nacht. Und

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