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Ohne Netz

Ohne Netz

Titel: Ohne Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Rühle
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hingewiesen, dass sich die heftige Hoffnung aufs papierlose Büro durch die Computerisierung nicht erfüllt hat, im Gegenteil, wir alle blasen mehr Papier raus denn je. Aber ich würde nach meiner Kurzumfrage sagen, das stiftlose Büro, das wurde erreicht. Wie sagte doch mein Sohn, am allerersten Tag meines Experiments: »A better penkill, meine Damunhern, a better penkill!«

APRIL
    Der Proband muss seine Mutter trösten, die glaubt, dem Internet schweren Schaden zugefügt zu haben. Er entdeckt, dass die Gegenwart schrumpft, und denkt, während er den Kindern auf einem Bauernhof zusieht, über Esel nach. Überhaupt – viele Tiere in dem Monat: Die Dinosaurier sterben aus, und einmal schwimmen sogar Wale durch die Matthäus-Passion.
    1. APRIL
    Im Straßenbahnhäuschen am Hauptbahnhof sitzen zwei Männer. Obwohl sie einander überhaupt nicht ähnlich sehen, merkt man an der einträchtigen Genervtheit, in der sie nebeneinandersitzen, dass sie Vater und Sohn sind. Der Junge nimmt ein anscheinend neu gekauftes Handy aus der Verpackung und fängt an, darauf herumzudrücken. Der Alte hat eine prallgefüllte Plastiktüte auf seinem Schoß stehen, deren Außenseite er so behutsam und gleichmäßig streichelt, als sei darin ein flauschiges Haustier. Er sagt zu dem Jungen:
    »Kannst jetzt damit schneller telefonieren als vorher?«
    »Logisch.«
    »Und wennst nix zum Sagen hast, hast dann damit mehr zum Sagen?«
    »Mei Papa, ich brauchs wegen dem Navi.«
    »Wasd auch imma umanandafahren ...«
    Der Rest geht unter im Bremsen einer Straßenbahn.
    George Boas schrieb 1932, die Menschen hätten meist gar nichts gegen Maschinen an sich, sondern nur etwas gegen neue, ungewohnte Maschinen: »Ich selbst stänkere gegen Automobile und sehne mich nach dem guten alten Fahrrad. Segler schimpfen auf Dampfschiffe, Dampfschiffe auf Motorboote. Und ich weiß noch, wie alte Leute über die neue Erfindung des Telefons lästerten. Ihre Kinder wettern heute mit genau denselben Worten gegen die neuartigen Wähltelefone.« Zwei Jahre bevor Boas diese Sätze schrieb, hatten die amerikanischen Senatoren in empörtem Ton verfügt, dass die brandneuen Wähltelefone, mit denen der Senat kurz zuvor ausgestattet worden war (die eindeutig eine Verbesserung darstellten, weil man dadurch endlich nicht mehr auf die Vermittlung angewiesen war), umgehend durch alte Apparate ersetzt werden. Begründet wurde der Schritt damit, dass die neuen Apparate schwerer zu bedienen seien als die alten und die Senatoren durch die neuen Apparate gezwungen wären, die niederen Arbeiten einer Vermittlungssekretärin auszuführen.
    Eine Generation zuvor kann man genau dasselbe in Grün beobachten: Nachdem Alexander Graham Bell das Telefon erfunden hatte, ging er damit zu Samuel F. B. Morse, in der Hoffnung, dass der ihm die Rechte für das Patent abkaufen würde. Morse aber fand die neue Maschine vollkommen nutzlos, er und seine Mitarbeiter bei Western Union lehnten die absurde Erfindung einstimmig ab: »Bells Apparat benutzt nichts als die menschliche Stimme, die man nicht konkret zu fassen bekommt. Wir überlassen es Ihrem eigenen Urteil, ob irgendein Mensch, der bei Verstand ist, seine Geschäftsangelegenheiten mittels eines solchen Apparates übertragen wollen würde. Alles in allem kommt das Komitee zu dem Schluss, sich gegen jedwedes Investment in Bells Erfindung auszusprechen.«
    Kurzum: Die Welt war immer schon eine permanente Anpassungszumutung. Kaum hat man sich an etwas gewöhnt, kommt etwas Neues daher. Was man natürlich erst mal für vollkommen nutzlos, überflüssig oder schädlich hält. Die Veränderungsrate ist nur mittlerweile so schnell geworden, dass selbst 25-Jährige permanent staunend davorstehen und es kaum fassen können, was nun wieder Neues möglich ist, ja, seit einigen Jahren kann einen das Gefühl beschleichen, permanent in einem Sciencefiction-Film zu sein.
    Umgekehrt gibt es diese rührende Erfahrung beim Filmeschauen, dass Action- oder Sciencefiction-Filme, die ja ihre hypermodernen Waffen oder Computergadgets oftmals mit fetischhaftem Stolz präsentieren, gerade an genau diesen technischen Hilfsmitteln, die glitzerndes Symbol der Zukunft sein sollen, den ersten Rost ansetzen: James Bonds Anzüge sitzen immer noch perfekt, die Frauen sind geschmeidig und extrem appetitlich, aber die Instrumente, in die Q ihn da jeweils voller Stolz einweist, haben etwas fast schon rührend Altväterliches.
    Zu Beginn meiner analogen Einzelhaft witzelte ich mit

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